Andreas Kallert/Vincent Gengnagel: Wider den Stunde-Null-Mythos: Faschismus und Antiliberalismus in der bayrischen Außenpolitik gegenüber Tschechien und Ungarn 1933 bis 2010

65 Jahre waren die bayerischen Regierungen nicht in der Lage, außenpolitische Beziehungen zum Nachbarstaat CSSR bzw. zu Tschechien aufzunehmen. Bis zur deutschen Besatzung war die tschechische Republik eine der liberalsten Demokratien Europas. Der erste Besuch eines bayerischen Ministerpräsidenten, 2010 (!) von Horst Seehofer in Prag, stellt jedoch noch lange keine Normalisierung dar. Im Gegensatz zu den problematischen Beziehungen zu Tschechien gestalten sich die bayerisch-ungarischen Beziehungen deutlich kooperativer: Zum Bespiel bot die bayerische Regierung direkt nach dem Wahlerfolg der neofaschistischen Jobbik-Partei verbesserte polizeiliche Zusammenarbeit an. Analog zu Erich Späters historisch hergeleiteter Analyse der deutsch-tschechischen Beziehung (am 05.05) werden wir zunächst auf die deutsch-ungarische Kooperation während der NS-Zeit eingehen, um anschließend eine vergleichende Diskussion zu führen. Aus ihr können Rückschlüsse auf das post-faschistische Bayern gezogen werden, die sich hoffentlich fruchtbar mit Grigats Beschäftigung mit der post-nazistischen Gesellschaft Österreichs (am 07.07) verbinden lassen.

Vincent Gengnagel und Andreas Kallert sind schon länger »in der fub« aktiv und freuen sich auf neue und alte Gesichter. Andreas Kallert hat in der Freien Uni zuletzt die Ideologie von Tauschringen kritisiert.

Diese Woche in der fub: Schleuser_innen und Hochschulpolitiker_innen

Donnerstag, 19.05.2011
Ralf Homann: schleuser.net: Die Lobby für Schleuser_innen und Schlepper_innen

Ort: Balthasar. Balthasargäßchen 1 (zwischen Kaulberg und Schranne)
Beginn: 20:00
Info: s. unten

Freitag, 20.05.2011
Lukas Hofstädter/Stefanie Girstmair: Katharsis und Kritik: Uniproteste mit Gramsci und Foucault

Ort: Balthasar. Balthasargäßchen 1 (zwischen Kaulberg und Schranne)
Beginn: 20:00
Info: s. unten

INFO: Ralf Homann: schleuser.net: Die Lobby für Schleuser_innen und Schlepper_innen

Eine Säule, oder genauer: ein Wachturm, des EU-Grenzregimes ist die Definitionshoheit über die richtigen Wörter für den Personenverkehr: Von den Fluchthelfer_innen des Kalten Krieges zu den Schleuser_innen, von der Gastarbeiter_innen-Agentur zu Schlepper_innen. Doch es gibt auch Gegenströmungen, die den erfundenen EU-Sprech vom »human smuggler« z.B. durch »migration broker« ersetzen. Dieser innere Zaun aus Imagetransfer und Bildregime bietet der Kommunikationsguerilla ein weites Arbeitsfeld. Der Bundesverband Schleppen und Schleusen, 1998 in München gegründet, entwickelte bis 2008 dazu eine vielfältige Praxis. Ralf Homann skizziert die 10 Jahre dieser »Lobbyorganisation für Unternehmen im undokumentierten grenzüberschreitenden Reisemarkt« (Eigenbezeichnung) und diskutiert, wie die Grenze von politischer und künstlerischer Aktion überschritten werden kann, um den Wachturm von innen heraus anzusägen.

Ralf Homann ist Bildhauer und Autor. Für die Kunstbiennale manifesta 8 befasste er sich im Herbst 2010 mit dem Verhältnis von Nordafrika und Europa; im Januar sendete der Zündfunk sein Radio-Essay »Das Gerade ist fast immer das Böse«. Ralf Homann lebt zurzeit in Berlin.

INFO: Lukas Hofstädter/Stefanie Girstmair: Katharsis und Kritik: Uniproteste mit Gramsci und Foucault

Im Vortrag soll mittels der Hegemonietheorie von Antonio Gramsci sowie des Subjektivierungsansatzes von Michel Foucault eine analytische Perspektive auf die »unibrennt«-Studierendenproteste an den österreichischen Universitäten 2009/2010 gewonnen werden. Die theoretischen Referenzen entspringen dabei den Protesten selbst, weshalb wir versuchen wollen, eine synthetisierende Perspektive einzunehmen. Dieser Blickwinkel führt weg von einer Betrachtungsweise, die Proteste an der unmittelbaren Durchsetzung ihrer politischen Forderungen misst, hin zu einer Position, die stärker die Produktion der handelnden Subjekte in den Blick nimmt sowie deren Versuche, sich selbst neu zu positionieren und strukturierend auf politische Prozesse einzuwirken. Damit verschiebt sich der Fluchtpunkt kritisch-subversiver »Realpolitik« weg von kurzfristigen Einzelaktionen hin zur Frage nach der langfristigen Produktion kritischer Subjektivität und damit von subversivem Potential.

Lukas Hofstätter studiert und arbeitet am Institut für Soziologie der Universität Wien.

Stefanie Girstmair hat in Wien Psychologie und Internationale Entwicklung studiert und ist als freie Forscherin in verschiedenen Projekten tätig.

Donnerstag, 12.05.2011 Benedikt Frank: Sonntag Abend, 20:15. Tatorte der Erinnerungspolitik

Sonntagabend, 20:15, läuft auf den Fernsehern der Durchschnittsdeutschen die neue Folge des »Tatorts«. Wem das wöchentliche Ritual nicht genug ist, der findet an jedem anderen Tag Wiederholungen alter Folgen in den dritten Programmen. Dem Krimi geht es zunächst um Spannung und Unterhaltung. Doch der Anspruch der öffentlich-rechtlichen Sender, einem gesellschaftlichen Bildungs- und Informationsauftrag gerecht zu werden, schlägt auch in die Unterhaltungsformate durch. Entsprechend übertragen »Tatorte« gesellschaftliche Themen in ein fiktionales Format, bestehen aber darauf, in deren Darstellung »realistisch« zu bleiben. So kommt auch der Umgang der Deutschen mit ihrer Nazivergangenheit zur Sprache. Der »Tatort« wirkt hier als Resonanzkörper, der den Status Quo der Vergangenheitsaufarbeitung zur Produktionszeit der jeweiligen Folge widerhallen lässt. Und macht dadurch eine Mentalitätsgeschichte der deutschen »Aufarbeitung der Vergangenheit« und den Wandel der damit verbundenen Geschichtsbilder sichtbar. Anhand von Beispielen soll dies aufgezeigt werden. Das Dispositiv »Fernsehen«, das Kriminalgenre und der Realitätsanspruch bilden dabei ein ideologisches Dreigespann, das den postfaschistischen Karren in die Gegenwart zieht. Sie müssen daher genau durchleuchtet werden.

Benedikt Frank ist Gründer des Bamberger Pirat_Innenkinos und lebt zurzeit in Bayreuth, wo er Theater- und Medienwissenschaft studiert und seine Abschlussarbeit zum Thema des Vortrags schreibt.

Semesterstart

Das Sommersemester der fub sei hiermit eröffnet. Alle Termine sind hier zu finden.

Den Anfang machen zwei Referenten, die schon einmal in der fub zu Gast waren.

Donnerstag, 05.05.2011
Erich Später: Villa Waigner.
Hanns Martin Schleyer und die deutsche Vernichtungselite in Prag

Ort: Balthasar. Balthasargäßchen 1
Beginn: 20:00

Freitag, 06.05.2011
Johannes Ullmaier: »Dicke rote Striche unter ganze Zeilen«
Erich Mühsams Tagebücher in der Festungshaft als Vorschein digitaler Überwachung

Ort: Balthasar. Balthasargäßchen 1
Beginn: 20:00

Alle Infos s. unten.

Info: Erich Später: Villa Waigner. Hanns Martin Schleyer und die deutsche Vernichtungselite in Prag

Mit der Besetzung Prags begann am 15. März 1939 eine sechsjährige deutsche Terrorherrschaft über das »Reichsprotektorat Böhmen und Mähren«. Es wurde dem deutschen Herrschaftsbereich eingegliedert, von deutschen Konzernen und Banken ausgeplündert, das Eigentum seiner 80.000 jüdischen Bürger_innen an deutsche Banken, Konzerne, Gemeinden, Wohlfahrtsverbände und Zehntausende Volksgenoss_innen verteilt.

Erich Späters Vortrag schildert den Prozess der Entrechtung und Deportation der tschechischen Juden und Jüdinnen. Beispielhaft rekonstruiert er die Enteignung und Ermordung des jüdischen Ehepaares Waigner, dessen Prager Villa ein begehrtes Objekt der Begierde hoher Nazifunktionäre wurde. Den Zuschlag für die »Judenvilla« erhielt schließlich der SS-Offizier Hanns Martin Schleyer. Dies zeigt: Ohne Leute wie Schleyer wären weder der Vernichtungskrieg im Osten noch der Holocaust möglich gewesen.

Erich Später, geb. 1959, arbeitet – nach Buchhändlerlehre und Studium in Berlin und Saarbrücken – heute für die Heinrich Böll Stiftung, schreibt für die Zeitschrift Konkret und hat 2009 im konkret-Verlag das Buch »Villa Waigner – Hans Martin Schleyer und die deutsche Vernichtungselite in Prag« veröffentlicht. Zuletzt hat er in der Freien Uni über den Bund der Vertriebenen gesprochen.

Info: Johannes Ullmaier: »Dicke rote Striche unter ganze Zeilen«. Erich Mühsams Tagebücher in der Festungshaft als Vorschein digitaler Überwachung

Nach Scheitern der Münchner Räterevolution saß der Dichter und Anarchist Erich Mühsam, welcher prominent an ihr beteiligt war, von 1920 bis 1924 in Festungshaft. In dieser Zeit wurde sein Tagebuch, das er seit 1910 regelmäßig – und in der Haft noch intensiver – führte, mehrfach konfisziert, ausgewertet und (teils öffentlich) gegen ihn verwendet. Die schlimmen und absurden Konsequenzen, die daraus erwuchsen, werfen die Frage auf, inwieweit das, was im Rückblick als Entgleisung präfaschistischen Klassenjustizvollzugs erscheint, heute – mit den Möglichkeiten digitaler Überwachung – nicht allgemeiner Standard zu werden droht und wie man/frau sich dagegen wehren kann.

Johannes Ullmaier, geb. 1968, lehrt an der Universität Mainz; ist Mitherausgeber der Zeitschrift testcard; Buchveröffentlichungen: »Yvan Golls Gedicht ‚Paris brennt’. Zur Bedeutung von Collage, Montage und Simultanismus als Gestaltungsverfahren der Avantgarde« (1995); »Pop shoot Pop. Über Historisierung und Kanonbildung in der Popmusik« (1995); »Kulturwissenschaft im Zeichen der Moderne« (2001); »Von Acid nach Adlon und zurück. Eine Reise durch die deutschsprachige Popliteratur« (2001); (Hg.) »Schicht! Arbeitsreprotagen für die Endzeit« (2007). Zuletzt hat er in der Freien Uni gemeinsam mit Natalja Kyaw über Punk und Post-Punk in Jugoslawien gesprochen.

Der Vortrag findet mit freundlicher Unterstützung des Lehrstuhls für Neuere Deutsche Literaturwissenschaft der Universität Bamberg statt.