fub presents: Zwei Vorträge am 18. und 19. Juli. Vincent Gengnagel/Andreas Kallert und Chris Wilpert

Donnerstag, 18.07.
VINCENT GENGNAGEL/ANDREAS KALLERT:
Wie Behörden ‘versagen’ und verschweigen
Der »National-Sozialistische Untergrund« in den Medien
Während laxe Verbraucherschutzkontrollen (»Pferdefleischskandal«) die so genannte »Kritische Öffentlichkeit« beschäftigen, läuft seit April der Prozess gegen den NSU. Nach dem Auffliegen der rechtsradikalen Terrorgruppe Ende 2011 haben sich im Bundestag und in mehreren Landtagen parlamentarische Untersuchungsausschüsse konstituiert. In ihnen werden vornehmlich die unzähligen Pannen der verschiedenen deutschen Sicherheitsdienste (LfV, BfV, BND, BKA, LKA, MAD) bei der Aufklärung der jahrelangen Terrorserie des NSU (»Dönermorde«) verhandelt. Diese Sternstunden des Parlamentarismus werden von den deutschen Medien mit nachlassendem Interesse beobachtet, wobei besonders krasse Behördenpannen gelegentlich aufgegriffen werden. Wie um dem generellen Desinteresse der deutschen Öffentlichkeit Ausdruck zu verleihen, müssen jedoch weder Landes- noch Bundesregierungen zurücktreten. Die Parlamente verzichten auf die konsequente Aufklärung jener Unterstützung durch die Exekutive oder andere politische Organe, ohne die die rassistischen Morde gar nicht möglich gewesen wären. Und auch die sonst so menschenrechtsaffinen Grünen sehen in der Thematisierung der Behördennähe des NSU keinen Wahlkampfvorteil. Wir halten es für wichtig, die öffentliche Thematisierung und Entproblematisierung des Prozesses und der Untersuchungsausschüsse kritisch nachzuvollziehen.

Vincent Gengnagel und Andreas Kallert haben zuletzt im Juli 2012 in der fub über den NSU gesprochen, aber seither ist schon wieder so viel an Aufarbeitung nicht passiert, dass sie darüber nicht nicht reden können.
Ort: Balthasar, Balthasargässchen 1 (zwischen Schranne und Kaulberg)
Beginn: 20:00
Eintritt: frei

Freitag, 19. Juli 2013
CHRIS WILPERT: »Der aufsteigende Pfad der Revolte«
Geschichtsbewusstsein und Klassenverrat.
Zur Rezeption von Walter Benjamin
Die Fronten, die sich seit dem Erscheinen der »Schriften« Benjamins während ihrer kurzen, fast eruptiven Wirkungsgeschichte abzeichnen, waren bereits in seiner Biografie vorgezeichnet: […] nur als surrealistische Szene vollziehbar wäre etwa die Vorstellung, Scholem, Adorno und Brecht zum friedlichen Symposium am runden Tisch, unter dem Breton und Aragon hocken, während Wyneken an der Tür steht, versammelt zu sehen, sagen wir zu einem Disput über »Geist der Utopie« […] (Habermas) Der revolutionäre Intellektuelle erscheint zunächst und vor allem als Verräter an seiner Ursprungsklasse. (Aragon) Die materialistische Geschichtsdarstellung führt die Vergangenheit dazu, die Gegenwart in eine kritische Lage zu bringen. (Benjamin) [E]r war ein Dichter. (Adrienne Monnier) Was an Benjamin so schwer zu verstehen war, ist, daß er, ohne ein Dichter zu sein, dichterisch dachte […] (Arendt) Benjamin war ein Philosoph. (Scholem) Benjamin hat offenkundig […] sein Denken und Schreiben bewußt als Schauplatz von Widersprüchen angeordnet. (Lindner) Nicht aus Koketterie, sondern mit ganzem Ernst sagte er einmal, er brauche eine gehörige Portion Dummheit, um einen anständigen Gedanken denken zu können. (Adorno) Erst haben die Frankfurter Benjamin zu fälschen gesucht, indem sie systematisch seinen Marxismus herunterspielten. Jetzt versuchen sie es wieder, indem sie ihn zum Klassiker stilisieren und ihn in einer historisch-kritischen Ausgabe begraben, die keine ist, aber für eine solche gilt. (Salzinger) Das Hauptproblem, das sei in Klammern gesagt, der meisten Benjamin-Forscher ist, daß sie versucht haben, den zweideutigen und »esoterischen« Stil nachzuahmen, ohne jene Radikalität zu erreichen, die seiner einzigartigen expositio eine besondere Ausdruckskraft […] verleiht. (Ponzi)

Chris Wilpert wurde in einer ehemaligen Räterepublik geboren und lebt, wohnt und arbeitet je unter prekären Verhältnissen in Offenbach und Bamberg als Literaturwissenschaftler_in (meist), Übersetzer_in (manchmal) und Musiker_in (selten). Er promoviert gegenwärtig über Thomas Harlan. Er sprach zuletzt in der fub über das Thema »Hipsters Selbsthass«.
Ort: Balthasar, Balthasargässchen 1 (zwischen Schranne und Kaulberg)
Beginn: 20:00
Eintritt: frei

fub presents: Zwei Vorträge am 11. und 12. Juli 2013. Benedikt Frank und Christine Zunke

Donnerstag, 11.07.
BENEDIKT FRANK: Radical Gaming
Gesellschaftskritik in Spielen

Die Computerspiel-Industrie hat das Kino nach rein kommerziellen Maßstäben längst eingeholt. Das kann heute in jedem beliebigen Zeitungsartikel nachgelesen werden. Die Frage, ob ein Spiel ähnlich wie ein Film soziale Zustände reflektieren und vielleicht sogar kritisieren kann, wird dagegen kaum gestellt. Im öffentlichen Bild wird die Gaming-Kultur – zu Recht – als eine Veranstaltung von Kerlen mit ausgeprägten Gewaltfantasien und Militärfimmel dargestellt. An den Rändern der Gaming-Kulturindustrie gibt es jedoch auch hin und wieder Lichtblicke: Dank einfacher Werkzeuge können mittlerweile auch Künstler_innen und Aktivist_innen Spiele ohne Expert_innenwissen programmieren. Und die greifen gerne zu. So veröffentlichte die Schweizer Gruppe and-or.ch das Spiel »Discrimination Pong«, das die Spielregeln des Klassikers »Pong« so modifiziert, dass in ihm Alltagsdiskriminierung erfahrbar werden. Anna Anthropy setzt die Geschichte ihrer Geschlechtsumwandlung als Flashgame um und fordert in ihrem Buch »Rise of the Videogame Zinesters« eine DIY-Bewegung, die sich das Computerspiel zurückerobert. Zu größerer Bekanntheit gelangte die italienische Games-Schmiede Molleindustria, unter anderem durch das Spiel »Phone Story«, das die Produktionsbedingungen von Smartphones thematisiert und dafür prompt aus dem iTunes-Store verbannt wurde.
Der Vortrag stellt diese und andere Versuche vor, gesellschaftliche Verhältnisse in Spielen zu thematisieren und diskutiert die Möglichkeiten und Grenzen des Mediums als Mittel für emanzipatorische Kritik.

Benedikt Frank ist studierter Medienjunkie und hat in der fub zuletzt über das Thema »Level Up! Gamification und Ausbeutung« gesprochen.
Ort: Balthasar, Balthasargässchen 1 (zwischen Schranne und Kaulberg)
Beginn: 20:00
Eintritt: frei

Freitag, 12.07.
CHRISTINE ZUNKE:
Gesellschaftskritik ist moralisch
Das Vortragsthema ergab sich aus einer Diskussion darüber, wie und warum der Kapitalismus eigentlich zu kritisieren sei. Wenn die Produzent_innen der Gebrauchsgüter vom Zugriff auf ihre Produkte abgeschnitten sind, weil diese den Produktionsmittelbesitzer_innen gehören, ist dann vor allem ihre individuelle Bedürfnisbefriedigung geschädigt? Oder wird ihnen zugleich ihre Freiheit auf einer Ebene verweigert, die sich gar nicht vollständig in einem materiellen Äquivalent ausdrücken lässt, weil die Menschen strukturell zu bloßen Mitteln der Verwertung des Wertes werden – und zwar unabhängig von der Höhe ihres Lohns? Dies führt zur Frage, warum der Kapitalismus eigentlich abgeschafft werden soll. Um in einer von der Verwertungslogik befreiten Gesellschaft verbesserte Möglichkeiten vorzufinden, die eigenen Interessen zu verfolgen? Oder ist bereits der Begriff des »Interesses« ideologisch? Muss ihm die Realisierung gesellschaftlicher Freiheit entgegengesetzt werden? Letzteres soll hier mit Verweis auf die Moral begründet werden. Freiheit wäre dabei nicht als bürgerliche Freiheit zu verstehen, und Moral nicht als Herrschaftsinstrument, das Verhaltenscodizes vorschreibt. Auf dieser Basis kann anschließend über den ideologischen Gehalt und das wahre Moment von »Interesse« und »Freiheit« diskutiert werden.

Christine Zunke ist Philosophin an der Uni Oldenburg und beschäftigt sich hauptsächlich mit der Schnittstelle von Naturwissenschaft und Gesellschaft, u. a. in ihren Publikationen »Das Subjekt der Würde. Kritik der deutschen Stammzellendebatte« und »Kritik der Hirnforschung. Neurophysiologie und Willensfreiheit«. Sie hat zuletzt beim festival contre le racisme 2011 über das Thema »Soziobiologie. Die Wissenschaft der Naturalisierung« gesprochen.
Ort: Balthasar, Balthasargässchen 1 (zwischen Schranne und Kaulberg)
Beginn: 20:00
Eintritt: frei

fub presents: Donnerstag 4. Juli 2013. Barbara Umrath. »Keine Emanzipation ohne die der Gesellschaft« Eine geschlechtertheoretische Re-Lektüre der Kritischen Theorie


Wenn man/frau von der Kritischen Theorie spricht, kommen vor allem der »autoritäre Charakter«, die »Dialektik der Aufklärung« und die »Kulturindustrie« in den Sinn. Dass sich ihre Gesellschaftskritik auch auf das Geschlechterverhältnis erstreckt, wird dabei meist übersehen. Im Vortrag soll hingegen eine geschlechtertheoretische Re-Lektüre der Kritischen Theorie unternommen werden. Der Schwerpunkt wird auf den Überlegungen zum bürgerlichen Subjekt liegen, das von der Kritischen Theorie aber nicht als »geschlechtliches Neutrum« verstanden wird. Unterschiede in der Konstitution »männlicher« und »weiblicher« Subjekte werden dabei durchaus reflektiert. Gleichzeitig beobachtet die Kritische Theorie, wie der Vortrag zeigen will, Veränderungen in der Subjektkonstitution im Zuge des »Spätkapitalismus«, die für eine kritische Einschätzung gegenwärtiger Entwicklungen im Geschlechterverhältnis fruchtbar gemacht werden können.

Barbara Umrath hat Erziehungswissenschaften, Psychologie und Soziologie studiert. Sie ist Kollegiatin im Graduiertenkolleg »Geschlechterverhältnisse – Normalisierung und Transformation« der Universität Basel und arbeitet derzeit an einer Promotion zu Geschlecht und Kritischer Theorie.

Ort: Balthasar, Balthasargässchen 1 (zwischen Schranne und Kaulberg)
Beginn: 20:00
Eintritt: frei