Freitag, 02.12.2016: NAIDA PINTUL: Zur Kritik der Prostitution – in Theorie und Praxis

02-12-pintul

Prostitution kann zu Recht als eines der Goldenen Kälber des Feminismus bezeichnet werden: Kaum ein Thema erzeugt innerhalb feministischer Kreise so viele, teils erbittert geführte Kontroversen. Der liberale und queere Feminismus der Dritten Welle hat sich mittlerweile die Deutungshoheit erobert, Prostitution in »Sexarbeit« umbenannt und ihr empowerndes, gar emanzipatorisches Potential zugeschrieben. So heißt es, dass selbstbestimmte Sexarbeit mit dem Feminismus nicht nur vereinbar, sondern per se auch feministisch sei. Veranstaltungen wie die Ladyfeste lassen regelmäßig Frauen referieren, die das Narrativ der glücklichen Sexarbeiterin bedienen, in aller Regel in individualistisch-liberaler Manier. Was hier oft zu kurz kommt, ist jedoch zum einen die Frage, wie Prostitution in ihrer aktuellen Ausprägung gesellschaftlich ermöglicht wird, zum anderen sind es die Stimmen derjenigen Frauen in der Prostitution, die nicht das Narrativ vom »Job wie jeder andere« bedienen. Der Vortrag wird Prostitution vor dem Hintergrund patriarchaler Geschlechterverhältnisse aufrollen und ein Grundgerüst liefern, um diese Institution über individuelle Betroffenengeschichten hinaus zu analysieren.

 

Naida Pintul arbeitet ehrenamtlich in einer Beratungsstelle für Frauen in der Prostitution, versteht sich als antideutsche Radikalfeministin, hält Vorträge zu diversen feministischen Themen (zuletzt zu Rape Culture und Reproduktionsrechten) und verachtet als Anhängerin der Zweiten Welle die postmoderne Beliebigkeit.

DONNERSTAG, 24.11.2016: BENEDIKT FRANK: Mut zur Wirrheit Compact: das Krawallblatt wider die »Lügenpresse«

24-11-frank

Mit markigen Werbesprüchen inszeniert sich das Magazin Compact als Hort des »ehrlichen Journalismus in Zeiten der Lüge«. Nur hier stünde, »was andere nicht schreiben dürfen«. Die Redaktion stilisiert ihr Blatt als letzten Vertreter des unabhängigen Journalismus.

Anfangs war Compact nur eine publizistische Begleiterscheinung der »Montagsdemonstrationen für den Frieden«, bei denen Verschwörungstheoretiker_innen mit Friedensbewegten zusammentrafen. Heute ist es folgerichtig bei der AfD gelandet, mit der es sich den Slogan »Mut zur Wahrheit« teilt. Der Chefredakteur Jürgen Elsässer tritt als Redner bei Pegida-Veranstaltungen auf. Den Hass auf Flüchtlinge und »Lügenpresse« zu bedienen, scheint ein Erfolgsrezept zu sein: Nach eigenen Angaben werden monatlich etwa 36.000 Exemplare verkauft – Tendenz steigend. Aber wie arbeitet Compact? Und: Wie sieht ein Journalismus aus, der alle anderen der Lüge bezichtigt? Spoiler Warnung: »Mut zur Wirrheit« wäre vermutlich der bessere Claim …

 

Benedikt Frank ist Journalist und schreibt vor allem für die Süddeutsche Zeitung und Spiegel Online. Für BILDblog liest er regelmäßig Compact.

Donnerstag, 17.11.2016: EIKE SANDERS: Zur Rolle von Frauen im NSU-Netzwerk

17-11-sanders

Rechtsterroristische Strukturen werden meist als männerbündische Kampfeinheiten verstanden – und nicht selten sind sie auch als solche konzipiert: Der entschlossene hypermaskuline Nationalsozialist befindet sich im »Rassenkrieg« und übt – alleine oder in einer Terrorzelle organisiert – den »bewaffneten Widerstand«, um eine nationalsozialistische Ordnung (wieder-)herzustellen und seine Frau und Kinder zu beschützen. Durch die Selbstenttarnung des »Nationalsozialistischen Untergrunds« (NSU) ist mit Beate Zschäpe eine Täterin in den Fokus gerückt, an der sich Klischees über die Rolle von Frauen in der Naziszene zugleich brechen und reproduzieren. Es ist bekannt, dass sie selbst früher brutal zugetreten und zugeschlagen hat. Im Münchner Strafprozess inszeniert sie sich jedoch als unbeteiligt, unwissend und abhängig von den beiden Männern. Um den NSU als Netzwerk zu verstehen, müssen nicht nur ihre nachgewiesene Beteiligung, sondern auch die Rollen und Handlungen anderer involvierter Frauen ernst genommen und untersucht werden. Gender ist dabei eine wichtige Analysekategorie.

 

Eike Sanders ist Mitarbeiterin des apabiz (Berlin), Teil von NSU-Watch sowie Mitglied des Forschungsnetzwerkes Frauen und Rechtsextremismus. Sie arbeitet seit Jahren zur extremen Rechten und gender und publiziert u. a. zu den so genannten »Lebensschützern«. Seit 2011 recherchiert und analysiert sie das neonazistische Netzwerk des NSU und beobachtet regelmäßig den Münchner Prozess.

Donnerstag, 10.11.2016: DOMINIC JOHNSON / SIMONE SCHLINDWEIN / BIANCA SCHMOLZE: Tatort Kongo, Prozess in Deutschland

10-11-schlindwein-etc

Jahrelang und bis vor kurzem führten zwei Ruander von den deutschen Behörden unbemerkt von Deutschland aus die im Kongo kämpfende ruandische Miliz Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas (FDLR), ein Sammelbecken flüchtiger Täter_innen des ruandischen Völkermordes von 1994. Die FDLR ist für brutale Verbrechen im Kongo verantwortlich. Ihr Präsident Ignace Murwanashyaka und der Vizepräsident Straton Musoni wurden 2009 in Deutschland festgenommen, kamen in Stuttgart vor Gericht und wurden 2015 schuldig gesprochen. Dennoch kämpft die FDLR weiter. Die Aufarbeitung der deutschen Mitverantwortung am Kriegsgeschehen im Afrika der Großen Seen steht noch am

Anfang. Warum macht die politische Führung einer ruandischen Exilmiliz Deutschland zu ihrer Operationsbasis? Und warum war es so schwierig, ihr auf die Spur zu kommen?

 

Dominic Johnson, Simone Schlindwein und Bianca Schmolze haben nach jahrelanger Recherche in Deutschland und Afrika sowie vier Jahren Prozessbeobachtung in Stuttgart die Hintergründe dieses kaum bekannten Kapitels deutsch-afrikanischer Zeitgeschichte in einem Buch erläutert.

Donnerstag, 03.11.2016: MARKUS KURTH: Christiane Schulte gegen die Human-Animal Studies. Stil und Grenzen linker Kritik

Ein Anliegen des fingierten Zeitschriftenbeitrags der Gruppe Christiane Schulte war es, die Human-Animal Studies zu diskreditieren. Dort wird behauptet, die Erforschung gesellschaftlicher Mensch-Tier-Verhältnisse stelle einerseits eine unkritische Mainstreamwissenschaft dar und sei andererseits der wissenschaftliche Arm der Tierrechtsbewegung und damit latent menschenfeindlich und rechtsoffen. Diese Argumente sind weder stichhaltig noch neu, aber sie finden Gehör. Im Vortrag wird deshalb über das Verhältnis von Wissenschaft und emanzipatorischer Politik in den Human-Animal Studies zu sprechen sein sowie über die Unfähigkeit linker Kritik zur solidarischen Debatte. Die Analyse der Argumente und Rhetorik gegen die Inklusion von Tieren in linke Theorie kann dabei weit über die konkrete Auseinandersetzung hinaus aufzeigen, dass auch diese Debatten keinen machtfreien Raum darstellen, in dem einfach das bessere Argument gewinnt.

 

Markus Kurth ist Soziologe und forscht als Gründungsmitglied von Chimaira – Arbeitskreis für Human-Animal Studies und Mitherausgeber mehrerer Sammelbände (zuletzt: »Das Handeln der Tiere«, transcript 2016) zu verschiedenen Aspekten der gesellschaftlichen Mensch-Tier-Verhältnisse.