Donnerstag, 30.11.2017: OLIVER LAUENSTEIN (No) Future?! – Utopie, Dystopie, Apokalypse: Zukunftsfiktionen im Spiegel der Krise

In der Renaissance wurde noch an Utopia und Sonnenstaat geglaubt. Serien und Filme der 1960er und 1970er erzählten von fliegenden Autos und technologischer Vollkommenheit. Heute findet sich hingegen kaum noch eine ernstzunehmende Utopie. Ihr Negativbild – die autoritär-technokratische Zukunftsgesellschaft – scheint oftmals bereits umgesetzt. Unser medial durchdrungener, überwachter Alltag, die Selbstkontrolle als Humanressource, esoterische Erklärungsmuster und die individuelle, psychopharmakologische Feinjustierung zeigen, dass 1984, Fahrenheit 451 und die Brave New World keine düsteren Fantasien, sondern gelungene Prognosen darstellen. Der Vortrag will der Frage nachgehen, inwieweit sich aktuelle Phänomene wie die Lust an der Apokalypse und das Revival des Zombiefilms als Ausdruck des gegenwärtigen Gesellschaftszustands deuten lassen.

Oliver Lauenstein ist Sozialpsychologe und Hobbytheoretiker; ehemals im Universitätsbetrieb tätig arbeitet er mittlerweile als Vollzeitbürokrat.

Donnerstag, 23.11.2017: KIRSTEN ACHTELIK: Selbstbestimmte Norm. Feminismus, Pränataldiagnostik, Abtreibung

Sollen Feministinnen jede Art von Abtreibung verteidigen? Können diesbezügliche Entscheidungen überhaupt selbstbestimmt getroffen werden? Welches Wissen entsteht durch pränatale Untersuchungen? Dienen sie der Vorsorge oder sind sie behindertenfeindlich? Der Vortrag lotet das Spannungsfeld zwischen den emanzipatorischen und systemerhaltenden Potenzialen des feministischen Konzepts der Selbstbestimmung in Bezug auf Abtreibung aus und nimmt Bezug auf aktuelle Debatten um reproduktive Rechte, die mit den zunehmenden Aktivitäten von »Lebensschützern« wieder aufflammen. Zugleich geht es darum, die Gemeinsamkeiten und Konflikte der Frauen- und der Behindertenbewegung sowie die inhaltlichen Differenzen zwischen Frauen mit und ohne Behinderung deutlich zu machen. Und um die dringend zu klärende Frage, wie ein nicht-selektives und nicht-individualisiertes Konzept von Selbstbestimmung gedacht und umgesetzt werden kann.

Kirsten Achtelik ist Diplom-Sozialwissenschaftlerin und lebt als freie Journalistin und Autorin in Berlin. Sie ist politisch an den Schnittstellen der feministischen, der antikapitalistischen und der Behindertenbewegung aktiv.

Donnerstag, 16.11.2017: MIRA LANDWEHR: Veganismus in der Krise? Querfrontaktivisten und Rechte für Tiere

Der Veganismus hat ein Problem: seine Popularität und seine neurechten Anhänger_innen. Der Verschwörungsideologe Ken Jebsen verkündet stolz, »Vollveganer« zu sein, und der Rechtsesoteriker Rüdiger Dahlke wirft jedes Jahr ein veganes »Peace Food«-Kochbuch auf den Markt. In einer Lebenswelt, die als unübersichtlich und chaotisch wahrgenommen wird und in der der Einzelne nichts mehr zu zählen scheint, verspricht das Label »alternativ« einen sicheren Rückzugsort und die Rückgewinnung von Selbstbestimmtheit. Alternative Lebensweisen und Weltanschauungen grenzen sich daher vor allem ab: Veganer_innen von Fleischesser_innen und von Vegetarier_innen, die Alternativmedizin von der kriminellen Pharmaindustrie und die Reichsbürger_innen vom Staat. Das wirft die Frage nach dem richtigen Veganismus im Falschen auf: Wie müsste er beschaffen sein, um immun gegen menschenfeindliches Gedankengut und eine Hauptsache-für-die-Tiere-Ideologie zu sein?

Mira Landwehr ist Historikerin und lebt inkonsequent vegan in Hamburg.

 

Donnerstag, 09.11.2017: STEPHANIE SCHMIDT: Ausnahmezustand und Gewalt. Polizei und polizeiliches Handeln beim G20

Im Juli 2017 hat Hamburg beim G20-Gipfel einen der größten Polizeieinsätze seiner Geschichte erlebt. In der Aufarbeitung rückte auch die Rolle der Polizei ins mediale und gesellschaftliche Interesse. Die Situationen, in denen es zu Gewaltanwendungen durch die Polizei kam, wurden dabei als »Ausnahmesituationen« markiert. Die Regelmäßigkeit, mit der Grundrechtsverstöße von Polizist_innen begangen werden, spricht jedoch dafür, dass der Ausnahmezustand im polizeilichen Handeln bereits angelegt ist. Der Vortrag wird diskutieren, was dies im konkreten Polizeialltag bedeutet und welche Rolle die Gewalt speziell beim G20-Gipfel eingenommen hat.

Stephanie Schmidt ist Kulturanthropologin und freie Referentin. Sie ist Doktorandin an der FSU Jena und beschäftigt sich mit polizeilichen Lebenswelten und der Rolle von Aggressionsaffekten in der Polizei.