Donnerstag, 01.11.2018: Vernissage und Vortrag von Rudi Maier

Anlässlich der Vernissage wird Rudi Maier vor seinem Vortrag die Ausstellung eröffnen und einleiten. Es gibt Sekt.

Marx. Macht. Reklame.
Seit langem hat die Werbeindustrie die Zeichen und Symbole, die Ikonen und Parolen linker und alternativer Bewegungen für ihre Zwecke entdeckt: Che Guevara, Karl Marx und Rosa Luxemburg, erhobene Fäuste, rote Sterne, auffahrende Wasserwerfer – nichts aus dem Bedeutungs-Repertoire des Protests und der Gegenkultur, das nicht in Anzeigen oder Spots Verwendung fände. Der Kulturwissenschaftler Rudi Maier sammelt seit zwei Jahrzehnten derlei Artefakte. Fast 4.000 von 1967 bis heute befinden sich inzwischen in seinem Archiv. Anlässlich des 200. Geburtstags von Karl Marx in diesem Jahr hat er für die freie uni eine Auswahl zusammengestellt, um – frei nach Marx – den »Verhältnissen ihre eigene Melodie vorzusingen, um sie zum Tanzen zu bringen«.

Ab ca. 20:15 Uhr
Vortrag:
Samba si! Arbeit no! –
Arbeit als Thema im deutschen Schlager
Nicht erst seit Helene Fischer zeigt sich: Schlager sind Pop – und sie polarisieren, in Fans auf der einen, in Schlagerhasser_innen auf der anderen Seite. Zeit, das schwer zu definierende Genre einmal genauer auszuleuchten und klassentheoretisch einzuordnen. Was eignet sich dafür besser, als Schlager auf ihre Bezüge zur Arbeitswelt hin zu befragen? Der Vortrag stellt zahlreiche Beispiele vor und zur Diskussion und liefert damit einen Beitrag zur Diskussion um Klassismus im Pop.

Rudi Maier ist Kulturwissenschaftler und interessiert sich seit langem für unterschiedliche Spielarten der Popkultur in Musik, Werbung oder Arbeitswelt – stets verknüpft mit der Frage des Alltagslebens im kognitiven Kapitalismus. Zuletzt hat er in der freien uni als MC Orgelmüller Firmenhymnen vorgestellt und vorgesungen.

Donnerstag, 05.07.2018: ANJA THIELE: Juden und die Erinnerung an die Shoah in der DDR

Die Massenvernichtung der Juden im Nationalsozialismus wurde in der DDR »ausgeblendet« – das ist weit verbreiteter Konsens. Tatsächlich ist das Bild der Erinnerungskultur im »antifaschistischen« Staat, wie aktuelle geschichtswissenschaftliche Studien zeigen, um einiges komplexer. Der Vortrag möchte die historischen Grundlagen der staatlichen Geschichts- und Gedenkpolitik der DDR skizzieren, um anschließend zu fragen: Gab es abseits der dogmatischen Leitlinien der SED eine Erinnerung an die Shoah? Und welche Rolle nahmen jüdische Kommunist_innen, oft selbst KZ-Überlebende, in diesem Diskurs ein? Am Beispiel verschiedener Akteur_innen jüdischer Herkunft, die sich nachdrücklich für die Erinnerung an den Holocaust einsetzten, soll der geschichtliche Wandel im Umgang mit dem Thema in der DDR nachgezeichnet werden. Damit einhergehend beleuchtet der Vortrag die Vielfalt »jüdischer« Selbstidentifikation in der DDR sowie die Komplexität des Verhältnisses zwischen Juden und SED.

Anja Thiele ist Literaturwissenschaftlerin und promoviert über Erinnerungskultur in der DDR. Sie lebt in Leipzig.

Donnerstag, 28.06.2018: ANDREAS FISCHER / DANIEL DRAVENAU: Utopie – Populismus – Dystopie. White-Trash-Hip-Hop

Als Sprachrohr der ländlichen working- und underclass fungiert Country Rap als Affirmation der Redneck-Kultur, prophezeit den Untergang des Abendlands und die messianische Rückkehr des real outlaw. Bestimmen den urbanen White-Trash-Hip-Hop kritische Selbstermächtigung und die utopische Formulierung des kulturell Anderen, positioniert sich der Country Rap nostalgisch-populistisch gegen die moderne städtische Kultur. Der Vortrag betrachtet Entstehung, Inhalte und Ästhetik des White-Trash-Hip-Hop, insbesondere seines ländlichen Sprösslings, und möchte einer vereinfachten Lesart des Country Rap entgegentreten. Seine regressiven Elemente mögen offensichtlich sein; aber nichtsdestotrotz lassen sich in seinen Mythen, Idyllen und Attacken Wahrheitssplitter, kritische Impulse und utopische Gesten ausmachen, welche die Ohnmacht und Verlogenheit der Populismuskritik des liberalbürgerlichen Diskurses offenbaren. Über die Rekonstruktion der Wahrheitsmomente der »falschesten« Form zeitgenössischer (Populär-)Kultur, der des Populismus, wollen wir das Falsche der »wahrsten«, liberalbürgerlichen (Populär-)
Kultur aufzeigen und darüber eine ernstzunehmende Kritik beider ermöglichen.

Andreas Fischer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Soziologie der FAU Erlangen-Nürnberg und forscht zum Wandel adoleszenter Kultur und Orientierungen sowie zu aktueller Popkultur. Dr. Daniel Dravenau arbeitet u. a. zur kulturellen Reproduktion sozialer Ungleichheit und in der Jugendhilfeplanung.

Donnerstag, 21.06.2018: CLARA FORCHT: Die doppelte Revolte. Künstlerische und politische Praxis des surrealistischen Antikolonialismus

Mitte des 19. Jahrhunderts begannen europäische Künstler*innen, gegen das Korsett der herrschenden Darstellungsnormen aufzubegehren. Neue, unverbrauchte Ausdrucksformen fanden sie in der nichteuropäischen Kunst. Doch bis in die 1920er Jahre hinein war die künstlerische Auseinandersetzung mit dem »Anderen« von einem verklärenden Primitivismus bestimmt. Damit reproduzierte sie Diskurse, die den Kolonialismus rechtfertigten – denn nur wer als »primitiv« kategorisiert ist, kann im Namen einer »zivilisatorischen« Mission kolonialistisch ausgebeutet werden. Erst die Anfang der 1920er Jahre in Paris gegründete surrealistische Bewegung versuchte, diese Diskurse zu verändern. Ihre Revolte war eine doppelte: Mithilfe der Kunst suchte sie, die Unterdrückung des Unbewussten durch die Vernunft zu überwinden – und durch gezielte politische Aktionen sollte die gewalttätige Ausbeutung nichteuropäischer Menschen durch den Kolonialismus abgeschafft werden. Der Vortrag untersucht Anspruch und Wirklichkeit dieses Programms am Beispiel des bildenden Künstlers Max Ernst und stellt die Frage, ob sich über die Hintertür nicht doch wieder kolonialistische Diskurse eingeschlichen haben.

Clara Forcht ist Mitglied der freien uni bamberg und studiert derzeit Kunstgeschichte.

 

Donnerstag, 14.06.2018: ULRICH CHAUSSY: Das Oktoberfest-Attentat. Wie die Verdrängung des Rechtsterrors begann

In der Endphase eines hitzigen Bundestagwahlkampfes detonierte am 26. September 1980 auf dem Oktoberfest am Eingang zur Theresienwiese eine Bombe. 13 Menschen starben, 211 Menschen wurden verletzt, mehr als 60 davon schwer. Schnell war klar, dass sich unter den Toten auch der Bombenleger befand: Gundolf Köhler, 21, ein aktiver Sympathisant der rechtsextremistischen Wehrsportgruppe Hoffmann. Als der Generalbundesanwalt die Ermittlungen im November 1982 einstellte, war aus dem bis dahin schwersten Terroranschlag in der Geschichte der BRD die Einzeltat eines jungen Mannes geworden, der aus unpolitischen, rein privaten Motiven eine Art erweiterten Selbstmordes beging. Im Vortrag wird gezeigt, wie und warum die Ermittlungen systematisch und beabsichtigt zu diesem – wie wir heute wissen – unhaltbaren Ergebnis führten: Die Mechanismen der Verdrängung und das Nicht-Wahr-Haben-Wollen der rechtsterroristischen Gefahr, die uns seit 2011 in der Aufarbeitung des NSU begegnen, waren bereits 1980 wirksam.

Ulrich Chaussy ist Buch- und Filmautor und war jahrzehntelang als Rundfunkjournalist für ARD und BR tätig. Seine Veröffentlichungen zum Oktoberfestattentat, insbesondere der Film „Der blinde Fleck“ haben zur Wiederaufnahme der Ermittlungen im Dezember 2014 beigetragen. Zuletzt ist sein Buch Rudi Dutschke. Die Biographie im Droemer-Verlag erschienen.

Donnerstag, 07.06.2018: TILMAN MÜLLER: »Für Führer und Prophet«. Islam und Nationalsozialismus

Die gemeinsame Geschichte von Nazis und Muslimen stellt trotz zahlreicher Belege einen blinden Fleck für den Aufarbeitungsweltmeister Deutschland dar. Deutlich wird dies, wenn der im Nahen Osten grassierende Antisemitismus als Resultat des israelisch-palästinensischen Konfliktes dargestellt wird und Vertreter_innen judenhassender Regimes diplomatisch und wirtschaftlich hofiert werden. Im Fokus steht der geschichtliche Moment, der als Geburtsstunde des programmatischen muslimischen Antisemitismus unter deutscher Ammenhilfe gelten kann. Ziel ist kein ideologischer Vergleich, sondern eine historische Darstellung, die zu Erklärungszwecken gelegentlich auf ideologische Aspekte zurückgreift.

Tilman Müller lebt seit 2016 in Bamberg, ist schon viel zu lang Bachelorstudent und hat sein Hauptfach Politikwissenschaft hauptsächlich deshalb gewählt, weil er sich das Interesse an Philosophie und Soziologie nicht durch akademische Verwurstung kaputtmachen lassen wollte.

Donnerstag, 17.05.2018: EIKE SANDERS: Kulturkampf und Gewissen. Die »Lebensschutz«-Bewegung

Die »Lebensschutz«-Bewegung will in die Offensive: Sie möchte nicht nur die Zugänge zu Schwangerschaftsabbrüchen erschweren, sondern führt auch einen Kulturkampf zur Retraditionalisierung der Geschlechter- und Familienverhältnisse, um christliche Moral und das ärztliche Gewissen. Sie ist Teil eines konservativen bis extrem rechten, in Teilen antidemokratischen Aufschwungs. In Kulturkampf und Gewissen. Medizinethische Strategien der »Lebensschutz«-Bewegung (Verbrecher Verlag 2018) analysieren Eike Sanders, Kirsten Achtelik und Ulli Jentsch die »Lebensschutz«-Bewegung, ihre Stärken, Schwächen und internen Widersprüche. Damit liefern sie das Material für eine kritische Auseinandersetzung mit den »Lebensschützern« – und die Grundlage für den nötigen Widerstand.

Eike Sanders ist Mitarbeiterin des Antifaschistischen Pressearchiv und Bildungszentrum Berlin apabiz e.V., wo sie seit zehn Jahren zentral zu dem Thema extreme Rechte und Gender forscht, publiziert und Bildungsarbeit durchführt. Ihre Schwerpunkte sind die »Lebensschutz«-Bewegung, Antifeminismus sowie Rechtsterrorismus. Sie ist Mitglied im Forschungsnetzwerk Frauen und Rechtsextremismus. Zuletzt hat sie in der freien uni bamberg zur Rolle von Frauen im NSU-Netzwerk gesprochen.

Donnerstag, 10.05.2018. BETTINA WILPERT: »nichts, was uns passiert«. Romanlesung

Leipzig. Sommer. Universität, Fußball-WM und Volksküche. Gute Freunde. Eine Geburtstagsfeier. Anna sagt, sie wurde vergewaltigt. Jonas sagt, es war einvernehmlicher Geschlechtsverkehr. Aussage steht gegen Aussage. Nach zwei Monaten nah an der Verzweiflung zeigt Anna Jonas schließlich an, doch im Freundeskreis hängt bald das Wort »Falschbeschuldigung« in der Luft. Jonas’ und Annas Glaubwürdigkeit und ihre Freundschaften werden aufs Spiel gesetzt. Der Roman nichts, was uns passiert thematisiert, welchen Einfluss eine Vergewaltigung auf Opfer, Täter sowie das Umfeld hat und wie eine Gesellschaft mit sexueller Gewalt umgeht.

Bettina Wilpert lebt und arbeitet in Leipzig und schreibt über Kündigungen, Streiks oder psychische Krankheiten, u. a. für P.S. Politisch Schreiben, testcard und Outside the Box. Ihr Debütroman nichts, was uns passiert ist im Februar 2018 im Verbrecher Verlag erschienen.

In Kooperation mit »Literatur in der Universität«

Gefördert von der Neueren deutschen Literaturwissenschaft der Otto-Friedrich-Universität Bamberg

 

Donnerstag, 03.05.2018: SIMON DUDEK: »Heimat« in Zeiten der Krise

Die meisten Millenials kamen biographisch zweimal mit dem Begriff »Heimat« in Berührung. In der Kindheit waren es die Großeltern ostpreußischer, schlesischer oder sudetendeutscher Abstammung, die ihrer verlorenen Heimat hinterher trauerten. In ihrer Gegenwart wiederum bezieht sich eine diffuse Mischung aus Spiegel-Redakteur_innen, nationalistischen Mörderbanden, Identitären und Cem Özdemir ganz selbstverständlich und positiv auf sie. Im langen Marsch durch die Institutionen ist die Steinbachisierung der Gesellschaft mittlerweile auf der ministeriellen Ebene angekommen. Auf das bayerische folgt das bundesrepublikanische Heimatministerium. Spätestens an dieser Stelle stellt sich die Frage, warum ein derart schwammiger Begriff eine solche Konjunktur erlebt. Der Vortrag möchte, ausgehend von der Diagnose einer multiplen Krise (seit 2007), seinem ideologischen Gehalt auf den Grund gehen.

Simon Dudek ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachbereich Geographie einer bayerischen Universität.