Donnerstag, 26.04.2018: HENNING FISCHER: Die überlebenden Frauen von Ravensbrück

Ende April 1945 wurde das Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück bei Berlin von der Roten Armee befreit. Einige der Überlebenden, meist Kommunistinnen, die in der Weimarer Republik politisch sozialisiert worden waren, gründeten unmittelbar nach der Befreiung eine Lagergemeinschaft als sozialen und politischen Verband. Gegen viele Schwierigkeiten führten sie ihn in DDR sowie BRD und bis in die 2000er Jahre hinein fort. Sie verfolgten eigenständige politische Ziele und wurden damit zu Akteurinnen ihres eigenen Lebens und der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts. Diese Geschichte wird anhand eines Bilder-Vortrags vorgestellt werden.

Henning Fischer lebt in Berlin, hat dort u. a. Geschichtswissenschaften studiert und 2017 zum Thema »Überlebende als Akteurinnen« promoviert. Er ist außerdem Teil des AutorInnenkollektivs Loukanikos, das sich mit der Kritik der Geschichtspolitik beschäftigt.

Donnerstag, 19.04.2018: MATTHIAS ZWACK: Titoismus. Theorie und Praxis des Selbstverwaltungssozialismus in Jugoslawien

Das ehemalige Jugoslawien wird heute vor allem mit gutem Essen und schönen Stränden in Verbindung gebracht. Fast ein halbes Jahrhundert lang stand das Land jedoch für einen Sozialismus der Weltoffenheit, der individuellen Freiheit und der echten sozialen, politischen sowie wirtschaftlichen Teilhabe. Der jugoslawische Weg beruhte auf einem historischen Bruch mit der Sowjetunion. Er war jedoch alles andere als widerspruchsfrei. Dem emanzipatorischen Anspruch stand die Herrschaft einer Einheitspartei gegenüber. Der Vortrag möchte dieses Kapitel der realsozialistischen Geschichte beleuchten. Im Zentrum steht dabei das Verhältnis autoritärer und antiautoritärer Tendenzen, die nebeneinander bestanden und sich gegenseitig ergänzten. War der Autoritarismus Relikt des Stalinismus oder brachte das Selbstverwaltungssystem seinen eigenen, spezifischen Autoritarismus hervor? Und welchen Anteil hatte all das am jugoslawischen Zerfall und den sich anschließenden Bürgerkriegen? Die Fragen, die das jugoslawische Modell aufwirft, sind für die emanzipatorische Theorie und Praxis der Gegenwart noch immer relevant.

Matthias Zwack ist Historiker, lebt in München und wühlt im Trümmerhaufen der Vergangenheit auf der Suche nach einer besseren Zukunft.

Freitag, 19.01.2018: STEFFI NEUMANN: Feminismus von Rechts? Oder: Sexismuskritischer Nationalismus

Die Vorstellung von rechtsextremen Frauen war lange vom alten Bild der stolzen deutschen Mutter geprägt, die sich der Reproduktion widmet und ihrem Mann »den Rücken frei hält«. Doch inzwischen erscheinen immer mehr politisch aktive Frauen an der Spitze rechter Parteien, Vereine und Kameradschaften: Frauen, die ihre Stimmen über die der Männer erheben und in den patriarchalen Strukturen der Szene oftmals geachtet werden; die für sich das gleiche Recht auf politische Äußerungen und Gewaltausübung in Anspruch nehmen und sich innerhalb der Szene gemeinsam organisieren. So verkündete beispielsweise der Mädelring Thüringen, eine Frauengruppe innerhalb der Neonazi-Kameradschaftszene: »Deutsche Frauen wehret euch – gegen das Patriarchat und politische Unmündigkeit! Nationaler Feminismus voran!« Doch inwiefern ist eine recht(sextrem)e Ideologie mit emanzipatorischem Feminismus vereinbar?

Steffi Neumann hat viele Semester ergebnislos studiert und befindet sich inzwischen in einer sozialpädagogischen Ausbildung. Sofern sie sich nicht im Zuge ihrer Lohnarbeit mit Kindern beschäftigt, arbeitet sie in antifaschistischen und emanzipatorischen Zusammenhängen und ist Teil der Freien Uni Bamberg.

Freitag, 12.02.2018: HENDRIKE HELLMANN: Versöhnung mit der Wirklichkeit? Über Hannah Arendts Versuch, den Totalitarismus zu verstehen.

Hannah Arendt hat einmal bemerkt, sie sei keine geborene Schriftstellerin, sondern durch Zufall dazu geworden. Der Zufall bzw. Unfall, der sie zum Schreiben brachte und zeitlebens beschäftigt hat, wären jene »extraordinary events of this century« gewesen, die mit dem Aufkommen des Totalitarismus einhergingen. Offenbar konnte sie gar nicht anders, als den Versuch zu unternehmen, das Phänomen der totalitären Herrschaft zu untersuchen und zu verstehen. Ihr Begriff des »Verstehens« hat eine existenzielle Bedeutung, wovon ihr Essay Understanding and Politics Zeugnis ablegt. Dort beschreibt Arendt Verstehen als charakteristisch menschliche, unabschließbare Tätigkeit, durch die der Mensch sich mit der Wirklichkeit versöhnt. Aber geht das überhaupt zusammen: Totalitarismus und Versöhnung? – Der Vortrag möchte Arendts Konzept des Verstehens vorstellen und fragen, welchen Gewinn es im Umgang mit der totalitären Vergangenheit abwirft.

Hendrike Hellmann hat in Bamberg und Tallinn Philosophie studiert und sich im Rahmen ihrer Masterarbeit mit Hannah Arendt beschäftigt. Dass sie nach dieser langen und entbehrungsreichen Schreibphase immer noch bereit ist, sich mit der Philosophin auseinanderzusetzen, legt nahe, dass sie an einem Stockholm-Syndrom leidet.

Donnerstag, 21.12.2017: STEFAN DIETL: »Blame the System!«. Kleine Einführung in die Kapitalismuskritik

Für die einen »gibt es kein System, das die Armut schneller beseitigt« (Wirtschaftswoche), und sind sich daher sicher, dass er »alternativlos ist und bleibt« (Die Welt). Für die anderen »ist der Kapitalismus gescheitert« (attac) und die »Idee des Kapitalismus tot« (Michael Moore). Wieder andere stellen fest, dass »der Kapitalismus so quicklebendig ist wie nie« (Spiegel). Doch was ist eigentlich dieser Kapitalismus, von dem alle reden? Welche historischen und sozialen Rahmenbedingungen kennzeichnen die kapitalistische Produktionsweise, und wie kann eine emanzipatorische Kritik an den bestehenden Verhältnissen aussehen? Der Vortrag stellt einige grundlegende Vorstellungen der Marx’schen Kritik der politischen Ökonomie vor. Dabei wird er sich auch mit den regressiven Vorstellungen einiger »Kapitalismuskritiker_innen« beschäftigen und der Frage nachgehen, ob und wie eine emanzipatorische Aufhebung der kapitalistischen Verhältnisse möglich ist.

Stefan Dietl ist ehrenamtlich bei ver.di aktiv und schreibt regelmäßig zu sozial- und wirtschaftspolitischen Themen, u. a. für die jungle world. 2017 ist sein Buch Die AfD und die soziale Frage im Unrast Verlag erschienen.

Donnerstag, 14.12.2017: CHRIS W. WILPERT: Buffy als Massenbetrug? Kulturindustrie und Kulturkritikindustrie

2017 ist ein Jahr denkwürdiger Jubiläen: 20 Jahre sind seit Ausstrahlung der ersten Staffel von Buffy – The Vampire Slayer vergangen. Vor 70 Jahren ist die Dialektik der Aufklärung von Adorno und Horkheimer erstmals erschienen. Das darin enthaltene Kulturindustrie-Kapitel mit dem Untertitel »Aufklärung als Massenbetrug« gilt es kritisch zu würdigen. Über Buffy gibt es dabei nicht viel zu sagen. Sie ist unzweifelhaft die beste Serie. Aufgrund ihres gesellschaftskritischen Gehalts gab sie Anstoß zu der akademischen und popkritischen Rezeption, die als so genannte Buffy Studies firmiert. Inzwischen werden zu jeder Serie Massen an vermeintlicher Kulturkritik produziert. Diese ist meist ebenso langweilig, wie sie krampfhaft überall fundamentale Gesellschaftskritik zu erkennen meint. Die Kulturindustrie hat dabei unweigerlich eine eigene Kulturkritikindustrie mit hervorgebracht. Diese verwässert jedoch den Begriff einer emanzipatorischen Kulturkritik. Der Vortrag will nicht nerdig bloß Buffy-Fantum zur Schau stellen. Stattdessen soll er in die Geschichte und den Begriff der Kulturindustrie einführen und zugleich die Möglichkeiten und Grenzen einer emanzipatorischen Kulturkritik als radikale Gesellschaftskritik ausloten. Ein Kampf, der so aussichtslos scheint wie der von Buffy.

Chris W. Wilpert schreibt u. a. über Thomas Harlan, Battlestar Galactica und Hipster_innen und ist Teil der Freien Uni Bamberg.

Donnerstag, 07.12.2017: MARKUS BAUMGART: Das japanische Feedback. Japanische Popkultur im Kontext der Amerikanisierung nach dem Zweiten Weltkrieg

 

Als eine der so genannten Achsenmächte im Zweiten Weltkrieg wurde die japanische Popkultur nach 1945 – ähnlich der deutschen – durch die amerikanische Besatzungszeit geprägt. Zwar gab es schon vorher Anleihen, aber erst mit den GIs kam in den Jahren der Okkupation westliche Popmusik nach Japan, die vor allem die Jugendlichen ansprach. Von den 1950ern bis in die 1970er entspannen sich dort exemplarische Diskurse zur Populärkultur: die Übernahme des internationalen Pop versus die Reaktivierung traditioneller Genres; die entgrenzte versus die nationale Identität; englische versus japanische Songtexte. Der Vortrag möchte die japanische Poprezeption chronologisch anhand von Ton- und Bildbeispielen bis in die späten 1970er nachvollziehen, als das Yellow Magic Orchestra dann erstmals den Versuch unternahm, eine zeitgemäße kosmopolitische Musik zu erschaffen.

Markus Baumgart hat in Tübingen Empirische Kulturwissenschaft und Kunstgeschichte studiert. Neben seinem Brotjob in einem Verlag ist er als Schallplattenunterhalter, Veranstalter und mit Vorträgen zu exotischen Popkultur-Themen unterwegs.

Donnerstag, 30.11.2017: OLIVER LAUENSTEIN (No) Future?! – Utopie, Dystopie, Apokalypse: Zukunftsfiktionen im Spiegel der Krise

In der Renaissance wurde noch an Utopia und Sonnenstaat geglaubt. Serien und Filme der 1960er und 1970er erzählten von fliegenden Autos und technologischer Vollkommenheit. Heute findet sich hingegen kaum noch eine ernstzunehmende Utopie. Ihr Negativbild – die autoritär-technokratische Zukunftsgesellschaft – scheint oftmals bereits umgesetzt. Unser medial durchdrungener, überwachter Alltag, die Selbstkontrolle als Humanressource, esoterische Erklärungsmuster und die individuelle, psychopharmakologische Feinjustierung zeigen, dass 1984, Fahrenheit 451 und die Brave New World keine düsteren Fantasien, sondern gelungene Prognosen darstellen. Der Vortrag will der Frage nachgehen, inwieweit sich aktuelle Phänomene wie die Lust an der Apokalypse und das Revival des Zombiefilms als Ausdruck des gegenwärtigen Gesellschaftszustands deuten lassen.

Oliver Lauenstein ist Sozialpsychologe und Hobbytheoretiker; ehemals im Universitätsbetrieb tätig arbeitet er mittlerweile als Vollzeitbürokrat.

Donnerstag, 23.11.2017: KIRSTEN ACHTELIK: Selbstbestimmte Norm. Feminismus, Pränataldiagnostik, Abtreibung

Sollen Feministinnen jede Art von Abtreibung verteidigen? Können diesbezügliche Entscheidungen überhaupt selbstbestimmt getroffen werden? Welches Wissen entsteht durch pränatale Untersuchungen? Dienen sie der Vorsorge oder sind sie behindertenfeindlich? Der Vortrag lotet das Spannungsfeld zwischen den emanzipatorischen und systemerhaltenden Potenzialen des feministischen Konzepts der Selbstbestimmung in Bezug auf Abtreibung aus und nimmt Bezug auf aktuelle Debatten um reproduktive Rechte, die mit den zunehmenden Aktivitäten von »Lebensschützern« wieder aufflammen. Zugleich geht es darum, die Gemeinsamkeiten und Konflikte der Frauen- und der Behindertenbewegung sowie die inhaltlichen Differenzen zwischen Frauen mit und ohne Behinderung deutlich zu machen. Und um die dringend zu klärende Frage, wie ein nicht-selektives und nicht-individualisiertes Konzept von Selbstbestimmung gedacht und umgesetzt werden kann.

Kirsten Achtelik ist Diplom-Sozialwissenschaftlerin und lebt als freie Journalistin und Autorin in Berlin. Sie ist politisch an den Schnittstellen der feministischen, der antikapitalistischen und der Behindertenbewegung aktiv.