Donnerstag, 16.11.2017: MIRA LANDWEHR: Veganismus in der Krise? Querfrontaktivisten und Rechte für Tiere

Der Veganismus hat ein Problem: seine Popularität und seine neurechten Anhänger_innen. Der Verschwörungsideologe Ken Jebsen verkündet stolz, »Vollveganer« zu sein, und der Rechtsesoteriker Rüdiger Dahlke wirft jedes Jahr ein veganes »Peace Food«-Kochbuch auf den Markt. In einer Lebenswelt, die als unübersichtlich und chaotisch wahrgenommen wird und in der der Einzelne nichts mehr zu zählen scheint, verspricht das Label »alternativ« einen sicheren Rückzugsort und die Rückgewinnung von Selbstbestimmtheit. Alternative Lebensweisen und Weltanschauungen grenzen sich daher vor allem ab: Veganer_innen von Fleischesser_innen und von Vegetarier_innen, die Alternativmedizin von der kriminellen Pharmaindustrie und die Reichsbürger_innen vom Staat. Das wirft die Frage nach dem richtigen Veganismus im Falschen auf: Wie müsste er beschaffen sein, um immun gegen menschenfeindliches Gedankengut und eine Hauptsache-für-die-Tiere-Ideologie zu sein?

Mira Landwehr ist Historikerin und lebt inkonsequent vegan in Hamburg.

 

Donnerstag, 09.11.2017: STEPHANIE SCHMIDT: Ausnahmezustand und Gewalt. Polizei und polizeiliches Handeln beim G20

Im Juli 2017 hat Hamburg beim G20-Gipfel einen der größten Polizeieinsätze seiner Geschichte erlebt. In der Aufarbeitung rückte auch die Rolle der Polizei ins mediale und gesellschaftliche Interesse. Die Situationen, in denen es zu Gewaltanwendungen durch die Polizei kam, wurden dabei als »Ausnahmesituationen« markiert. Die Regelmäßigkeit, mit der Grundrechtsverstöße von Polizist_innen begangen werden, spricht jedoch dafür, dass der Ausnahmezustand im polizeilichen Handeln bereits angelegt ist. Der Vortrag wird diskutieren, was dies im konkreten Polizeialltag bedeutet und welche Rolle die Gewalt speziell beim G20-Gipfel eingenommen hat.

Stephanie Schmidt ist Kulturanthropologin und freie Referentin. Sie ist Doktorandin an der FSU Jena und beschäftigt sich mit polizeilichen Lebenswelten und der Rolle von Aggressionsaffekten in der Polizei.

Donnerstag, 26.10.2017: CAROLINE A. SOSAT: Beißreflexe. Die betroffenheitsfeministische Dynamik

In queerfeministischen Communities, wie überall in der linken Szene, werden regelmäßig Menschen isoliert, bedrängt oder Opfer von Rufmord. Die zugrunde liegende Dynamik muss streng vom explizit begründ- und überprüfbaren Ausschluss einer Person unterschieden werden. Sie entfaltet sich plötzlich, scheinbar ungeplant, auf den ersten Blick irrational und spontan. Besonders häufig geschieht dies in der queeren Szenen. »Betroffenheitsfeministische« Gruppen sind besonders anfällig dafür. Ihre Handlungsweisen stehen im Widerspruch zu ihren eigenen politischen Prinzipien: dem Kampf gegen Ungerechtigkeit und Gewalt. Im Vortrag sollen die Bedingungen und Gründe diskutiert werden, warum betroffenheitsfeministische Gruppen dieses Ausschlussverhalten zeigen, statt als politische Subjekte den Streit zu suchen. Außerdem soll erörtert werden, was das mit einer Politik zu tun hat, die sich primär auf Identitätskategorien und Betroffenheit beruft.

 Caroline A. Sosat hat Psychologie und Soziologie studiert. Als Politnerd, Psychologin, Kampfsportlerin und Feministin versucht sie, eine Sprache für das zu finden, was nicht gesagt werden darf.

Ort: Balthasar, Balthasargäßchen 1

(zwischen Schranne und Kaulberg)

Beginn: 20:00

Eintritt: frei

Donnerstag, 19.10.2017: LUTZ EICHLER: Die politische Psychologie des Antisemitismus

Die Mehrheit der Deutschen ist der Meinung, Juden hätten an der Wall Street zu viel Einfluss. Warum wollen oder müssen sie so etwas glauben? Warum schreiben sie »Juden« eine derart prominente negative Rolle zu? Der Vortrag möchte den Zusammenhang von Gesellschaft, Psychologie und Antisemitismus erläutern und zeigen, auf welche Weise unangenehme Gefühle wie Angst, Hass, Einsamkeit und Selbstzweifel auf »Juden« übertragen werden.

Lutz Eichler macht zurzeit eine Ausbildung zum Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeuten.

Ort: Balthasar, Balthasargäßchen 1

(zwischen Schranne und Kaulberg)

Beginn: 20:00

Eintritt: frei

Donnerstag, 06.07.2017: EVI TRUMMER: Orange is the New Black. US-Gefängnisse in der Tradition der Sklaverei

Die netflix-Serie »Orange ist the New Black« avancierte in den letzten Jahren zur feministischen Klassikerin. Der fiktive Frauen*knast irgendwo in den USA zeigt so viele unterschiedliche und vielschichtige Frauen*charaktere wie keine Serie zuvor. Zu sehen sind Frauen* aller Körperformen, Altersklassen, Hautfarben, Lebens- und Liebeslagen in komplexen Charakterzeichnungen. Die Darstellung des Knastlebens hat aber auch eine sehr reale Komponente – dargestellt wird ein Justizvollzug, der nicht das Ziel der Rehabilitation hat, sondern dem Selbsterhalt des Systems dient. Die gedemütigten Insassinnen*, deren Arbeitskraft ausgebeutet wird; das Grauen der Isolationshaft; die sozialen Hintergründe, die zur Haft führen – all das verdeutlicht, wie die Mechanismen der Sklaverei unter dem Deckmantel des Strafvollzugs weiterleben. Die in Europa sowie den USA kaum medial wahrgenommen Gefängnisstreiks im September 2016 waren Ausdruck dieser Verhältnisse. Durch Arbeitsniederlegung und Hungerstreiks protestierten Inhaftierte und Personal gegen die Missstände in US-Gefängnissen.

Evi Trummer stammt aus Franken und ist nach Aufenthalten in Großbritannien, Wien und Leipzig nun wieder zurückgekehrt. Sie ist Lehrerin, kann die feministische Brille nicht mehr ablegen und ist nur noch mit Panda Videos zu beruhigen.

Freitag, 30.06.2017: ROBERT ZIEGELMANN: »Das Herz in Ketten gelegt«. Der Protestantismus und die Dialektik der Verinnerlichung

»Luther hat allerdings die Knechtschaft aus Devotion besiegt, weil er die Knechtschaft aus Überzeugung an ihre Stelle gesetzt hat«. So bringt Marx die bis heute gültige Kritik am Protestantismus auf den Punkt. Die strikte Verinnerlichung religiöser Gebote kann als spezifisch protestantischer Beitrag nicht nur zum modernen Autoritarismus, sondern auch zum Antisemitismus betrachtet werden. Anlässlich des allgegenwärtigen Reformationsjubiläums ist diese Kritik einerseits zu bekräftigen: Die protestantische Dynamik von Schuldbewusstsein und Strafbedürfnis hat eine Affinität zum Nationalsozialismus, wo nicht primär im Affekt oder auf Befehl gemordet wurde, sondern planvoll und aus innerer Überzeugung. Ebenso aktuell ist aber, was Marx dem obigen Satz anfügt: »wenn der Protestantismus nicht die wahre Lösung war, so war er die wahre Stellung der Aufgabe«.

Robert Ziegelmann lebt in Frankfurt, lehrt in Heidelberg und promoviert in Philosophie. Schwerpunkt seines Interesses ist die Kritische Theorie in ihrem Verhältnis zur Religion und zur klassischen deutschen Philosophie.

Donnerstag, 22.06.2017: SIMON DUDEK / THOMAS MÜLLER: Ihr wollt Fußball so wie früher? Kritik der politischen Ökonomie des postmodernen Fußballs

Anfang 2017 riefen die Ultras von Borussia Dortmund anlässlich eines Heimspiels gegen den RB Leipzig zur »Bullenjagd« auf. Anhänger_innen der gegnerischen Mannschaft wurden mit Steinen und Pyrotechnik attackiert. In der BVB-Fankurve waren Spruchbänder wie »Für den Volkssport Fußball – gegen die die ihn zerstören« zu sehen. In all dem erkennen wir eine Verzweiflung angesichts der spätkapitalistischen Vergesellschaftung, die in ihrer Regression eines konkreten Stellvertreters bedarf. Im Vortrag soll ihr eine historisch-materialistische Analyse des Profi-Fußballs entgegenstellt werden. Insbesondere soll dabei auf die Zeitschrift 11Freunde eingegangen werden, die sich die Wahrung des »echten Fußballs« auf die Fahnen geschrieben hat.

Simon Dudek war lange Jahre Sturmtank des Fußballteams der Freien Uni Bamberg. Thomas Müller galt als vielversprechendster Jugendspieler mit dem Namen Thomas Müller, entdeckte dann aber Bier für sich und ließ daher Thomas Müller den Vortritt.

Donnerstag, 08.06.2017: RAFAEL SELIG: German Gedenken

»So Nazi war unser Zoo«, titelt der Berliner Boulevard im Dezember 2016, und nicht nur die Großstadtpresse musste feststellen, dass auch altehrwürdige Einrichtungen wie der Berliner Zoo eine nationalsozialistische Vergangenheit haben. 1938 zwangen die Nazis die 1.500 jüdischen Zoo-Aktionär_innen, ihre Anteile billig zu verkaufen. In der bundesdeutschen Hauptstadt wurde diese Enteignung bisher nicht öffentlich zur Kenntnis genommen. Aufgrund der Recherchen der Historikerin Monika Schmidt hat der Zoodirektor nun versprochen, sich der »dunklen Seite der Geschichte« zu stellen, und der Berliner Senat hat eine sechsstellige Summe für die Wiedergutmachung bewilligt, allerdings nicht zur finanziellen Entschädigung, sondern für eine Ausstellung sowie ein »Fellowshipprogramm zur Stärkung des wissenschaftlichen Austausches zwischen Deutschland und Israel«, weil »im Zentrum der Wiedergutmachung […] heute nicht individuelle Restitution, sondern öffentliche Aufarbeitung und Erinnerungsarbeit« stünde. Diese Erklärung des Senats trifft den Kern des »German Gedenkens«. Als Vergangenheitsbewältigungsweltmeister kennt Deutschland die Opfer des Nationalsozialismus nur als Ausstellungsstücke, die von den Täter_innen arrangiert werden, um als geläuterte Sünder_innen den moralischen Mehrwert abzuschöpfen.

Rafael Selig ist Student der Geschichtswissenschaften und in verschiedenen Initiativen aktiv, die sich mit der aktuellen deutschen Gedenkpolitik beschäftigen.

 

Donnerstag, 18.05.2017: CHRIS W. WILPERT / ROBERT ZWARG: Destruktive Charaktere. Hipster und andere Krisenphänomene

Als das deutsche Feuilleton vor einigen Jahren den »Hipster« entdeckte, schien es, als hätten sich alle Entwicklungstendenzen und Charakteristika der Gegenwart in einem einzigen Sozialtypus verdichtet. Niemand wollte Hipster sein, doch alle wussten ihn zu erkennen: Ausstaffiert mit den typischen modischen Accessoires, omnipräsent in der virtuellen Welt von tumblr und facebook, gefürchtet und gehasst in Szeneklubs und -vierteln, wurde der Hipster zum bevorzugten Objekt von Analyse und Spott. Er galt als der destruktive Charakter par excellence. Inzwischen haben sich Phänomen und Diskurs weitgehend entkoppelt. Das Erscheinungsbild des Hipsters ist ins Allgemeinwissen übergegangen, und der Spott über ihn ist so unmittelbar abrufbar wie leidenschaftslos geworden. Bloß für sich genommen wäre der Hipster keine Vorträge mehr wert. Als überraschend beharrliches Symptom eignet er sich jedoch als Ausgangspunkt einer kritischen Analyse jener Ideologien und kulturellen Verwerfungen, die ihn beständig hervorbringen und die weit über ihn hinaus wirksam sind. Die anhaltende Auflösung vormaliger Analyse- und Ordnungskategorien wie Klasse, Geschlecht und Geschichte sowie die Umbrüche im Bereich der Öffentlichkeit, der Kultur und der Wissensproduktion manifestieren sich auch in anderen, neuen Sozialtypen. Hipster sind ein Krisenphänomen, das auf die Veränderung der Arbeitsverhältnisse, die Erosion des Bürgertums, die Verschiebung geschlechtlicher Identitäten, die Krise der Kunst und der politischen Urteilskraft reagieren.

Chris W. Wilpert ist Literaturwissenschaftler, Robert Zwarg ist Philosoph. Gemeinsam haben sie in der Zwergobst-Reihe des Ventil Verlags den Sammelband Destruktive Charaktere veröffentlicht.

DONNERSTAG, 11.05.2017: OLE NICKEL: Kritik der pseudomedizinischen Ideologie

Egal ob Traditionelle Chinesische Medizin, Homöopathie, »Miracle Mineral Supplement«, Germanische Neue Medizin oder anderes: Der Markt abseits der wissenschaftlichen Medizin bietet eine schier unendliche Fülle an alternativen Heilmethoden. Was aber reizt eine immer größere Zahl an Menschen an dieser meist wirkungslosen, oft schädlichen Pseudomedizin? Was bringt selbst studierte Ärzte dazu, an eine »Impf-Lüge« zu glauben? Der Vortrag möchte ausgewählte pseudomedizinische Methoden vorstellen, Gemeinsamkeiten und Unterschiede herausarbeiten und den Versuch einer ideologiekritischen Deutung unternehmen.

Ole Nickel studiert Medizin an der Universität Würzburg und war längere Zeit in Krankenpflege und Rettungsdienst tätig. In seiner Freizeit beschäftigt er sich mit Kritischer Theorie und Kommunismus.

Ort: Balthasar, Balthasargäßchen 1 (zwischen Schranne und Kaulberg)

Beginn: 20:00

Eintritt: frei