Donnerstag, 10.12.2020: CHRIS W. WILPERT: Das Bewusstsein des Nichtmitmachens. Leo Löwenthal und die Aktualität der Kritischen Theorie

In Gesprächen am Ende seines Lebens rekapitulierte Leo Löwenthal den Kern der Kritischen Theorie: »Man kann niemals, und dagegen haben wir uns immer gewehrt, positiv ausführen, was das richtige Leben ist.« Löwenthal gehörte als Mitarbeiter des Instituts für Sozialforschung zum engsten Kreis um Max Horkheimer. An Adorno und Horkheimers Elemente des Antisemitismus hatte er wesentlichen Anteil. Einen eigenen Beitrag zu den Studien zum Autoritarismus legte er zusammen mit Norbert Guterman in Prophets of Deceit vor. Seit den 1930er-Jahren arbeitete er an einer materialistischen Literaturwissenschaft und analysierte das »bürgerliche Bewusstsein in der Literatur«. Seine soziologische Auseinandersetzung mit der Massenkultur knüpfte an Adornos Analyse der Kulturindustrie an. Da Löwenthal als einziger aus dem engeren »Horkheimer-Kreis« noch die 1980er und 1990er erlebte, begleitete er nicht nur die Rezeption der Kritischen Theorie. Er widmete sich zusammen mit Sabine Lang auch kritischen Studien über die Postmoderne, die eine politische Kultur der »Exklusivität und Ausgrenzung« erzeuge. Sein Werk ist Ausgangspunkt für die Frage nach Geschichtlichkeit und Aktualität der Kritischen Theorie.
 
Chris W. Wilpert ist fub-Alumni, Literaturwissenschaftler und Technischer Redakteur. Zuletzt hat er zusammen mit Robert Zwarg in der freien uni bamberg über »Hipster und andere destruktive Charakter der Gegenwart« gesprochen.

Live-Stream auf Youtube: https://youtu.be/Xfmm2rgP44s

Interaktiv auf Jitsi: https://meet.jit.si/freieunibamberg
PW: AdornoHatGesagt

Beginn: 20:00
Eintritt/Zugang: frei

Donnerstag, 03.12.2020: JAN-NIKLAS JÄGER: Factually: Subversion im Pop am Beispiel der Pet Shop Boys

Seit über 30 Jahren zeigen die Pet Shop Boys, dass sich kommerzieller Erfolg und ein subversives Verständnis von Pop nicht ausschließen. Bereits ihre erste Single, der Welthit »West End Girls«, thematisierte Klassenunterschiede. Mithilfe nur scheinbar einfacher Pop-Songs zeichnen die Pet Shop Boys ein komplexes Gesellschaftsbild. Ihr Werk muss daher einer genaueren Analyse unterzogen werden: vom großen Hit bis zur B-Seite, von der Ikonographie bis zum Live-Auftritt. Es geht dabei um soziale Geschichte, sexuelle Identität und Clubkultur. Und um die Popkultur im Allgemeinen, die durchaus einem kritischen Anspruch gerecht werden kann.
 
Jan-Niklas Jäger lebt aktuell in Nürnberg und schreibt für jungle world und testcard. 2019 erschien sein erstes Buch Factually: Pet Shop Boys in Theorie und Praxis. Zuletzt hat er Sex Revolts: Gender, Rock und Rebellion von Joy Press und Simon Reynolds ins Deutsche übersetzt.

Live-Stream auf Youtube: https://youtu.be/6GsfbqKAcnE

Interaktiv auf Jitsi: https://meet.jit.si/freieunibamberg
PW: AdornoHatGesagt

Beginn: 20:00
Eintritt/Zugang: frei

Donnerstag, 26.11.2020: LUKAS WITTMANN: Die Vibes der Konservativen Revolution: Über die Neue Rechte und ihre Vorbilder

Eine heute häufig gestellte Diagnose ist, dass ein politischer Rechtsruck stattgefunden hat und noch immer stattfindet. Eine Akteurin dieser Verschiebung ist die stets besonnen und intellektuell auftretende »Neue Rechte«. Wie diese Strömung tickt, soll anhand eines Rückblicks in die Weimarer Republik geklärt werden: Hier wirken die Autoren der »Konservativen Revolution«, die den primären historischen Bezugspunkt der Neuen Rechten darstellen. Die Grundstimmung, das Weltbild und die Motive, kurz: die Vibes der Konservativen Revolution, begegnen uns heute wieder. Der geschichtliche Zusammenhang kann helfen, sie besser zu verstehen und zu durchschauen.

Lukas Wittmann hat Philosophie und Soziologie in Bamberg studiert und die freie Zeit bis zum Beginn seines Masterstudiums unter anderem dafür genutzt, sich mit der Konservativen Revolution zu beschäftigen.

Live-Stream auf Youtube: https://youtu.be/kqFAFd31d2g

Interaktiv auf Jitsi: https://meet.jit.si/freieunibamberg
PW: AdornoHatGesagt

Beginn: 20:00
Eintritt/Zugang: frei

Donnerstag, 19.11.2020: CONSTANTIN GANSS: Antisemitismus im Kontext der »Anti-Corona-Demonstrationen« in Bamberg

Seit das Auswärtige Amt am 17. März Einreisestopps sowie eine weltweite Reisewarnung bekanntgegeben hat und seit am 22. März die ersten Kontaktbeschränkungen wirksam wurden, ist die Covid-19-Pandemie im alltäglichen Bewusstsein der Menschen in Deutschland angekommen. Das Problemfeld Antisemitismus blieb hiervon nicht unberührt – im Gegenteil. Zunächst brach sich Antisemitismus unter Corona-Bedingungen in Form von Verschwörungsideologien Bahn, die vor allem über das Internet verbreitet wurden. Jüdisches Leben wurde dort online angegriffen, wo es selbst verstärkt in Online-Formaten stattfand. Dabei ist es jedoch nicht geblieben. Auf Demonstrationen der »Corona-Rebellen«, von »Querdenken« und Attila Hildmann traten die kruden antisemitischen Verschwörungsideologien offen zu Tage, die in Teilen der deutschen Bevölkerung bereits angelegt waren und durch die Pandemie zusätzlichen Auftrieb erhalten hatten. Der Vortrag will die Entwicklungen um die »Anti-Corona-Demonstrationen« und den dort formulierten Antisemitismus am Beispiel Bamberg empirisch untersuchen und führt zu diesem Zweck zunächst in die zugrunde liegenden antisemitischen Erklärungsmuster und Denkweisen ein.
 
Constantin Ganss studiert Geschichte und Politikwissenschaften in Bamberg und hat in der Weltholocaustgedenkstätte Yad Vashem und bei Amacha gearbeitet. Er ist Sprecher des Jungen Forums der Deutsch Israelischen Gesellschaft Bamberg und engagiert sich gegen Antisemitismus.

Live-Stream auf Youtube: https://youtu.be/oY7Fx5kWzMU

Interaktiv auf Jitsi: https://meet.jit.si/freieunibamberg
PW: AdornoHatGesagt

Beginn: 20:00
Eintritt/Zugang: frei

Donnerstag, 12.11.2020: LOTHAR GALOW BERGEMANN / ERNST LOHOFF: Die Hoffnung auf das „revolutionäre Subjekt. »Arbeiterklasse« als Ausdruck linksidentitärer Sehnsucht

Linke, die jahrzehntelang die soziale Frage entweder völlig vergessen oder stiefmütterlich behandelt haben, haben die Deutung wichtiger gesellschaftlicher Konflikte den Liberalen und Konservativen überlassen. Viele erhoffen sich jetzt von der Rückbesinnung auf die Klasse und ihre Kämpfe einen Ausweg. Doch in dem von Finanzmarktdynamik und Globalisierung getragenen Kapitalismus, in dem die Konkurrenz aller gegen alle mehr denn je Gesellschaft und Alltagsleben dominiert, ist die Beschwörung irgendeiner ominösen Klassenidentität nur eine nostalgische Phantasie. Ob Wohnungsfrage, radikale Arbeitszeitverkürzung oder die Verhinderung der Klimakatastrophe – für keinen der Kämpfe, die heute geführt werden müssen, ist mit der Wiederentdeckung der Klasse irgendetwas gewonnen.

Ernst Lohoff ist Redakteur der Zeitschrift krisis – Kritik der Warengesellschaft (www.krisis.org). Lothar Galow-Bergemann schreibt u. a. auf der Seite Emanzipation und Frieden (www.emafrie.de.org) und hat in der freien uni bamberg zuletzt über »Digitalisierung: Die Chance für ein besseres Leben ergreifen!« gesprochen.

Unterstützt durch die DGB Hochschulgruppe Bamberg.

Ort: Der Vortrag wird nicht über YouTube gestreamt, sondern findet über das Videokonferenz-tool „Zoom“ statt. Um teilzunehmen, einfach um 20 Uhr auf folgenden Link klicken:

https://uni-bamberg.zoom.us/j/98187083521

Dass Passwort der Sitzung lautet: 7#+vnJ

Die Meeting-ID lautet: 981 8708 3521

Beginn: 20:00

Eintritt: frei

Donnerstag, 05.11.2020: BALTHAZAR BENDER: A_sexualität. Über Begriffe, Communities, Amöbenwitze und Diskriminierung

Asexualität – das A im ständig wachsenden und immer unübersichtlicheren Buchstabensalat von LSBTTIAQP+. Aber was bedeutet dieses Wort eigentlich? Welche Begriffe und Definitionen gibt es? Welchen Platz hat A_sexualität zwischen all den anderen Buchstaben der queeren Community, und welche Erfahrungen machen a_sexuelle Menschen in queeren Kreisen, aber auch im Alltag? Was hat das alles mit Amöben zu tun? Diesen Fragen wollen wir in einem interaktiven Vortrag auf den Grund gehen. Dafür ist kein Vorwissen nötig – wir starten bei den Basics und haben genug Zeit für Fragen und allen Redebedarf.

Balthazar Bender (er/ihm oder keine Pronomen) studiert Gender Studies im Master an der Universität Freiburg und betreibt a_sexuellen Aktivismus online, bei Vorträgen und in Workshops. Besonders gerne beschäftigt sich Balthazar mit a_sexueller Repräsentation in den Medien und a_sexueller Geschichte. Seit 2013 ist Balthazar außerdem beim Queer Lexikon aktiv, einer Online-Anlaufstelle für queere Jugendliche.

Unterstützt durch die QueerCommUNIty Bamberg

Ort:

Interaktiv auf Jitsi: https://meet.jit.si/freieunibamberg
PW: AdornoHatGesagt

Live-Stream auf Youtube: https://youtu.be/oY7Fx5kWzMU

Beginn: 20:15 (pünktlich)

Eintritt: frei

Donnerstag, 09.07.2020: VINCENT WEICKART: Dumm ist der, der Dummes tut: Eine historisch-politische Betrachtung der Intelligenzmessung

Die Intelligenzmessung stellt bis heute eines der bedeutendsten Forschungsgebiete psychologischer und sonderpädagogischer Diagnostik dar. Dabei löst das »Intelligenz«-Konstrukt – nicht zuletzt aufgrund seiner Anknüpfungspunkte für rassistische Ideologien –immer wieder Kontroversen aus. Die Wurzeln der Eugenik lassen sich bis ins 19. Jahrhundert zurückverfolgen.Die ihr zugrunde liegende Vorstellung von der natürlich vererbten Überlegenheit bestimmter Menschengruppen findet sich aber auch in aktuellen Debatten wieder. In diesem Vortrag soll Intelligenz daher in ihrem historischen und politischen Kontext kritisch betrachtet werden, um das ihr innewohnende Potential der Hierarchisierung in einer technisch-rationalen Gesellschaft zu problematisieren.
 
Vincent Weickart studiert im Fachbereich Human- und Sozialwissenschaft in Bamberg und ist nebenbei gewerkschaftlich aktiv.
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Vorgehen für Online-Vorträge der fub allgemein:
Besucht zum angegebenen Vortragstermin um 20 Uhr die Seite https://l.linkspad.de/p/fub-bamberg-digital. Hier teilen wir den Link zum Video und ggf. ein Passwort zum Öffnen der Datei und Moderieren den Vortragsabend. Außerdem können hier Fragen an die Referent*innen gestellt werden. 

Donnerstag, 25.06.2020: ALICIA SCHLENDER: Vom Kümmern, dem Kummer und der Kleinfamilie. Feministische Familienkritiken und neue Familienformen

Die Corona-Krise ist auch eine Krise der Kleinfamilie. Sie zeigt, dass ein oder zwei Menschen nicht ausreichen, um sich neben dem Vollzeitjob noch um Kinder (um andere soziale Beziehungen und um sich selbst etc.) zu kümmern, ohne dabei verloren zu gehen. Auf politischer Ebene ist die Kleinfamilie jedoch noch immer sehr beliebt. Steuerlich und wohnungspolitisch wird sie privilegiert. Obwohl Gleichberechtigung in aller Munde ist und viel darüber gesprochen wird, dass die Familienformen sich wandeln, gilt die heterosexuelle Kleinfamilie weiterhin als normal – und mit ihr die Ungleichheit in Familien: Sorgearbeit ist größtenteils noch immer Frauensache. Ein Phänomen, dass in der Corona-Krise deutlicher denn je zutage tritt.

Welche Rolle spielt das Ideal der Kleinfamilie dabei, Geschlechterungleichheit und die gesellschaftlichen Elternrollen (z. B. die Mutter als Hauptverantwortliche) immer neu hervorzubringen? Welche Möglichkeiten für gleichberechtigte Elternschaft gibt es?  Co-Elternschaft soll in diesem Zusammenhang als Familienform, die nicht (allein) auf einem romantischen Beziehungskonzept aufbaut, vorgestellt und in ihren Vor- und Nachteilen diskutiert werden.

Alicia Schlender hat Politik und Geschlechterforschung studiert und beschäftigt sich mit Familie und Feminismus, Ungleichheit, Mutterschaft und alternativen Familienformen. Sie lebt mit Kindern in einer Wohngemeinschaft.

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Vorgehen für Online-Vorträge der fub allgemein:
Besucht zum angegebenen Vortragstermin um 20 Uhr die Seite https://l.linkspad.de/p/fub-bamberg-digital. Hier teilen wir den Link zum Video und ggf. ein Passwort zum Öffnen der Datei und Moderieren den Vortragsabend. Innerhalb des Pads werden Fragen zum Vortrag gesammelt, die dann entweder direkt nach dem Vortrag oder möglichst zeitnah in einer gesonderten Videoantwort beantwortet werden.

Donnerstag, 04.06.2020: kATRIN DEGEN: Jung – feministisch – extrem rechts? Zur Bearbeitung der Kategorien Geschlecht und Sexualität im Rechtsextremismus

Rechtsextreme – das sind doch diese Typen mit Glatze und Springerstiefel, die von »Rassereinheit« träumen und vom »geheimen Judenstaat« schwadronieren … Spätestens seit den Wahlerfolgen der Alternative für Deutschland (AfD) dürfte klar sein, dass derlei vereinfachte und einseitige Vorstellungen der Vergangenheit angehören. Die (extreme) Rechte in Deutschland ist vielseitig und anpassungsfähig. Das zeigt sich nicht zuletzt in der Beteiligung von Personengruppen, die der traditionalistischen, nationalistisch-rassistischen und homo-/transphoben Ideologie der Rechten zu widersprechen scheinen. Der Vortrag beleuchtet einige Strategien der (extremen) Rechten zur Legitimierung dieser Paradoxien und gibt anhand ausgewählter aktueller Beispiele – vom »nationalem Feminismus« bis zur Mitwirkung von Trans*-Personen in rechten Organisationen oder Gruppen – einen Überblick über die aktuelle Ausdifferenzierung der Rechten hinsichtlich Gender- und Queerthemen.

Katrin Degen ist Sozialarbeiterin M.A. bei der Aidshilfe Nürnberg e.V. und Promovendin an der Universität Bamberg.

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Donnerstag, 28.05.2020: TOM DAVID UHLIG: Deutschlands Platz in der Antarktis. Wie sich die Volksgemeinschaft an der Kälte wärmt

»Oder soll man es lassen?«, titelte im Sommer 2018 Die Zeit und stellte damit zur Debatte, ob Menschen im Mittelmeer überhaupt aus Seenot gerettet werden sollen. Die Indifferenz und Kälte, die Flüchtenden oder Prekarisierten entgegenschlägt, ist mehr als nur ein Element der zur technischen Rationalität verkümmerten Vernunft. Sie ist weder Selbstzweck noch Extremfall der bürgerlichen Gesellschaft, deren ekstatischer Taumel die Volksgemeinschaft ist. Sie ist ihr Kitt. Mit Hass auf das Individuum, und auf sich selbst, wird die Liebe zur Gemeinschaft erkauft. Diskussionen über die Rettung von Ertrinkenden zeugen von einer Gesellschaft, die in der Kälte gegen andere Kälte gegen sich selbst auslebt und sich dabei an der eigenen Mitleidlosigkeit berauscht. Demagog*innen versuchen sich darin zu übertrumpfen, wer am gefühllosesten ist, wer als erster erwägt, Frauen und Kinder an der Grenze zu erschießen, wer am vehementesten für Abschiebungen eintritt, wer den brutalsten Sozialchauvinismus zur Schau stellt und wer der Welt am deutlichsten klar macht, dass »wir« nicht ihr Sozialamt sind. Eine szenische Lesung über Deutschlands Suche nach seinem Platz in der Antarktis.

Tom David Uhlig ist Mitarbeiter der Bildungsstätte Anne Frank und Mitherausgeber der Zeitschrift Freie Assoziation für psychoanalytische Sozialpsychologie sowie von Psychologie & Gesellschaftskritik. Mit Katharina Rhein und Eva Berendsen veröffentlichte er 2019 Extrem Unbrauchbar. Über Gleichsetzungen von links und rechts.

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Donnerstag, 14.05.2020: MATHIAS BESCHORNER: Postwachstumsökonomie als Alltagsreligion und Abgrenzungsbedürfnis

Die »Postwachstumsökonomie« kann weder die ökologische noch die soziale Frage lösen. Sie geht mit einem Abgrenzungsbedürfnis gegenüber den arbeitenden Klassen einher und ist anschlussfähig für die politische Rechte. Postwachstumstheoretiker*innen setzen auf ein neues Menschenbild, auf eine Ethik des Verzichts und sie tragen Forderungen an die Menschen heran, die zu einer Alltagsreligion geworden sind. Sie führen zu Schuldgefühlen und erwecken den Eindruck moralischer Überlegenheit. Wichtiger als die Kritik des Wachstumsprinzips wäre es allerdings, die ökologische Krise selbst in den Fokus der Kritik zu rücken und zu erörtern, was sie mit der Funktionsweise der kapitalistischen Gesellschaft zu tun hat.

Mathias Beschorner ist Historiker und freier Autor. Er lebt in Leipzig und referiert zu den Themen »Postwachstumsideologie« und »Polyamorie«. Gemeinsam mit Konstantin Nowotny und Jennifer Stevens arbeitet er an einem Sammelband zur romantischen Liebe, offenen Beziehungen und zu Polyamorie.

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Donnerstag, 30.04.2020: INITIATIVE KRITISCHES GEDENKEN ERLANGEN: Der antisemitische Doppelmord an Shlomo Lewin und Frida Poeschke

Am 19.12.1980 wurden Shlomo Lewin und Frida Poeschke in Erlangen Opfer eines antisemitischen Mordanschlags. Der mutmaßliche Täter, Uwe Behrendt, stand der rechtsextremen Wehrsportgruppe Hoffmann nahe, floh nach der Tat in den Libanon und entzog sich so der Verantwortung. Zahlreiche Umstände der Tat sind bis heute ungeklärt. Der Vortrag gibt einen Überblick über die Tat sowie die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse, die sie zuerst möglich und im Anschluss daran vergessen machten. Um das Attentat aufzuarbeiten und kritisch daran zu erinnern, gründete sich im Januar 2019 die initiative kritisches gedenken erlangen. Der Vortrag dokumentiert den momentanen Stand der Recherche sowie die Perspektive und das Selbstverständnis, das diesem Gedenken zugrunde liegt. Der Begriff der „Selbstverunsicherung“ wird dabei als entscheidende Voraussetzung für kritisches Erinnern und Gedenken betrachtet. Er soll im Vortrag erläutert und im Anschluss daran zur Diskussion gestellt werden.

Die initiative kritisches gedenken erlangen hat sich im Januar 2019 gegründet um das antisemitische Attentat auf Shlomo Lewin und Frida Poeschke aufzuarbeiten. Damit schließt die Initiative an die Arbeit verschiedener Erlanger antifaschistischer Gruppen an, die seit 2009 jedes Jahr zum Jahrestag der Ermordung am 19. Dezember ein öffentliches Gedenken in der Erlanger Innenstadt veranstaltet haben. Auf diese Weise sollen Shlomo Lewin und Frida Poeschke erinnert und die Verhältnisse angeklagt werden, die sie zu Opfern gemacht haben, bis heute fortexistieren und auf das Vergessen drängen.

Ort: Aufgrund der geltenden Einschränkungen können die Veranstaltungen der Freien Uni bis auf Weiteres nicht wie gewohnt im Balthasar stattfinden.

Beginn: 20:00

Eintritt: frei

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Vorgehen für Online-Vorträge der fub allgemein:
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Wie kann ich die Fub online sehen?

Vorgehen für Online-Vorträge der fub:
Besucht zum angegebenen Vortragstermin um 20 Uhr die Seite https://l.linkspad.de/p/fub-bamberg-digital. Hier teilen wir den Link zum Video und ggf. ein Passwort zum Öffnen der Datei und Moderieren den Vortragsabend. Innerhalb des Pads werden Fragen zum Vortrag gesammelt, die dann entweder direkt nach dem Vortrag oder möglichst zeitnah in einer gesonderten Videoantwort beantwortet werden.

FUB statt Corona

Viele haben spekuliert, viele haben danebengelegen. Die freie uni bamberg findet auch in diesem Sommersemester statt! Dass wir natürlich keine Happenings im Balthasar feiern können, dürfte klar sein. Daher: Donnerstags ab jetzt Netflix ausmachen und lieber die fub streamen. Wie das alles geht, wie das Programm überhaupt aussieht und ob unsere Referent*innen bezahlt werden (natürlich!), schreiben wir demnächst. Der erste Vortrag findet bereits am 30. April statt. freie uni bamberg jetzt frei nach Hause.

Donnerstag, 30.01.2020: ANGELIKA SCHWARZ: Das Grundrauschen der Gesellschaft



Der Vortrag beschäftigt sich mit den Konjunkturschwankungen der gesellschaftlichen Affektökonomie. Dazu wird das Phänomen der Angst in einer kultursoziologischen wie kulturhistorischen Lesart auf den Begriff gebracht, um seinen Status als authentische Gefühlskommunikation in reaktionären Diskursen der Gegenwart zu destabilisieren. Zudem soll der Versuch unternommen werden, Angstkomplexe in ihrer allgemeinen Funktion für die Epochensignatur der Moderne zu verstehen. Denn die Psychoressourcen der Akteur*innen dienen nicht zuletzt als Antriebsstrukturen des Kapitalismus, der seine Betriebsamkeit gleichsam durch Angsterzeugung wie durch das Feilbieten passender Angstbewältigungsstrategien sichert.

Angelika Schwarz hat Soziologie, Philosophie und Politikwissenschaft studiert und arbeitet zurzeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Soziologie an der TU Darmstadt.
                     
Ort: Balthasar, Balthasargäßchen 1
(zwischen Schranne und Kaulberg)
Beginn: 20:00
Eintritt: frei

Donnerstag, 23.01.2020: FRANK APUNKT SCHNEIDER: The »German Church Rock«. Die fremde und seltsame Welt des Sakropop

Der deutsche Sakropop wurde um 1970 vom Erfolg christlicher Rockmusik in den USA inspiriert. Teile der Amtskirchen sahen darin eine willkommene Gelegenheit, wieder zur Jugend vorzudringen, indem deren Kultur christianisiert wurde. Sakropop blieb jedoch ein deutsches Sonderformat, das wenig mit dem hochprofessionellen, aber stinklangweiligen Rock zu tun hatte, dann christliche Bands in Amerika spielten. Während seiner Blütezeit (bis 1980) blieb er (nach aktuellem Ermittlungsstand) das seltsamste und bizarrste Genre, das es in der Popmusik bisher gegeben hatte. Die Jugendlichen, die er in ihrer Sprache anzukumpeln versuchte, konnten damit nichts anfangen. Er blieb die Angelegenheit einer fast unsichtbaren und völlig unvermittelbaren kircheninternen Subkultur. Erst die Sammler*innen von so genannter »Incredibly Strange Music« haben ihn wiederentdeckt. Sie erst können seine besonderen Qualitäten würdigen. Als deutschsprachige und als christliche Popmusik hat der Sakropop ein beeindruckendes worst of both worlds abgeliefert. Seine ebenso heillose wie himmelschreiende Verkrampftheit setzt die zahllosen Haupt- und Nebenwidersprüche zwischen religiösem Dogmatismus und popkulturellem Freiheitsversprechen adäquat in Szene und zeigt, wie unwohl sich die ewiggestrige Ideologie der Religion in der modernen Welt fühlt, mit der sie sich aber trotzdem irgendwie arrangieren zu müssen glaubt. Frank Apunkt Schneider wird Höhepunkte seiner umfangreichen Sakropop-Sammlung vorspielen und umfassend erläutern.

Frank Apunkt Schneider ist unfreundlicher Plattenhändler, unfreier Autor und selbsternannter Poptheoretiker, Mitherausgeber der testcard und der deutsche Außenposten der Kulturbewegung monochrom. Im Ventil-Verlag ist 2015 sein Buch »Deutschpop halts Maul. Für eine Ästhetik er Verkrampfung« erschienen. Zuletzt hat er in die Freien Uni über die Carpenters gesprochen.
 
Ort: Balthasar, Balthasargäßchen 1
(zwischen Schranne und Kaulberg)
Beginn: 20:00
Eintritt: frei

Donnerstag, 12.12.2019: RAPHAEL SINGER: »Othering« und »Imaginäre Geographien«. Soziale und räumliche Figurationen der Abgrenzung in sozialen Medien


Soziale Medien bieten eine ideale Arena für die öffentliche Auseinandersetzung um Geflüchtete. Ressentiments scheinen sich dort aktuell besonders schnell zu verbreiten. Der Vortrag möchte zeigen, wie kollektive Identitäten (die »das Eigene«konstruieren, indem sie »das Fremde« bestimmen) in Sozialen Medien auf rassistische, nationalistische und andere hegemoniale Konzepte zurückgreifen und welche Rolle dabei die räumliche Dimension von Ausgrenzung und Grenzziehungen spielt. Der postkoloniale Theoretiker Edward Said beschreibt dies in Konzepten wie »Othering« und den »Imaginären Geographien«. Als Beispiel hierfür sollen Kommentare von der facebook-Seite »Kein Asyl in der Reinhardts-Kaserne« herangezogen werden, die sich gegen die Landeserstaufnahmestelle in Ellwangen richten.

Raphael Singer arbeitet als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Kulturgeographie an der Universität Bamberg.
 
Ort: Balthasar, Balthasargäßchen 1
(zwischen Schranne und Kaulberg)
Beginn: 20:00
Eintritt: frei

Donnerstag, 05.12.2019: ANNA REGENER: Nicht mit und nicht ohne dich. Heimat und Fremde als Grundkonstanten von Volk und Nation

Alle sollen eine haben, aber niemand weiß so recht, was das ist. Und wer dann doch keine hat, ist zum Suchen verdammt. »Heimat« war jedoch schon immer verloren, schon immer im Gestern. Entstanden als romantische Gegenbewegung zu Veränderung, Erweiterung, gesteigerter Komplexität und Verschiebung von Machtstrukturen, bezieht sich »Heimat« als Bewahrerin alles vermeintlich Guten, auf das Bild einer idyllischen Vergangenheit, die es nie gegeben hat. Die völkische und nationalistische Interpretation von Heimat, unterstützt durch Landeskunde und Geschichtswissenschaften, hat Bilder geschaffen, die auch heute noch wirken und identitätspolitisch genutzt werden. Der Vortrag gibt einen Überblick über die historische Entwicklung des bürgerlichen wie des sozialistischen Heimatbegriffs, die eng vernetzt ist mit der Erfindung und Etablierung von Volk und Nation.

Anna Regener hat in Bamberg Historische Geographie studiert und sich dabei mit Erinnerungskultur, Nationenbildung und dem leidigen Thema »Heimat« auseinandergesetzt und freut sich auf die gesicherte Zukunft innerhalb der neoliberalen Wissenschaft *zwinkersmiley* #prekariat.

Ort: Balthasar, Balthasargäßchen 1

(zwischen Schranne und Kaulberg)

Beginn: 20:00

Eintritt: frei

Donnerstag, 14.11.2019: TINA SANDERS: Zur Situation der Frauen im Iran

Der Vortrag will die Situation von Frauen im Iran als Opfer der Unterdrückung sowohl durch das iranische Regime als auch durch iranische Männer erläutern. Außerdem wird die Rolle der Frau im Islam generell und im Besonderen als Täterinnen innerhalb der iranischen Moralpolizei erläutert. Am Beispiel von Aktivistinnen wie Masih Alinejad wird verdeutlicht, dass es im Iran auch widerständige Frauen gibt.

Tina Sanders lebt als Politologin und Aktivistin in Leipzig und schreibt gelegentlich u. a. für Sans Phrase, Jungle World und den Platypus Review.

Ort: Balthasar, Balthasargäßchen 1 (zwischen Schranne und Kaulberg)

Beginn: 20:00

Eintritt: frei

Donnerstag, 24.10.2019: THOMAS BOLLWEIN: ANKER-Zentren – eine neue Dimension restriktiver Asylpolitik?


Sogenannte »ANKER-Zentren« existieren seit August 2018. Sie institutionalisieren eine in Bayern erprobte Lagerpolitik, durch die seit Jahren an einer Verschärfung der Asylpolitik durch Lagerunterbringung gearbeitet wird. Der CSU gilt das Bayerische Modell als »Vorzeigemodell«, das Stück für Stück auch auf Bundesebene eingeführt werden soll. Für die Geflüchteten bedeutet es weniger Rechte. Was in den Lagern vor sich geht, ist schwer zu kontrollieren. Schikanen durch Behörden, Sicherheitsdienst und Polizei sind an der Tagesordnung. Zwar machen Geflüchtete immer wieder durch Demonstrationen und politische Aktionen auf ihre Lage aufmerksam, doch werden ihre Proteste öffentlich kaum wahrgenommen. Der Vortrag gibt einen Überblick über das Konzept »ANKER-Zentren« und skizziert Entstehung, rechtliche Rahmenbedingungen und die konkreten Probleme der Flüchtlingslager in Bayern.
 
Thomas Bollwein promoviert am Lehrstuhl für
Arbeitswissenschaften an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg zum Thema »Wohlfahrtsstaat und rechtsextreme
Einstellungen« und arbeitet seit 2017 für den Bayerischen Flüchtlingsrat. Zuletzt hat er in der Freien Uni über das Thema »Abstiegsangst – Kann der Wohlfahrtsstaat die Rechten aufhalten?« gesprochen.
Der Vortrag findet in Kooperation mit Freund statt fremd, Bamberg statt.
   
Ort: Balthasar, Balthasargäßchen 1
(zwischen Schranne und Kaulberg)
Beginn: 20:00
Eintritt: frei

Donnerstag, 25.07.2019: STEPHAN ALBRECHT: Die Architektur der schöpferischen Zerstörung

Walter Benjamin war einer der ersten, der über das Verhältnis von Geld und Religion geschrieben hat. Neuere soziologische Studien haben herausgearbeitet, wie stark Geldinstitute vom schöpferischen Potential ihrer Mitarbeiter_innen abhängen. »Schöpferische Zerstörung« nannte dies der Nationalökonom Alois Schumpeter zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Der Vortrag wird zeigen, wie dieses Paradoxon die Selbstdarstellung von Banken um die Jahrtausendwende geprägt hat.
 
Stephan Albrecht ist seit 2009 Lehrstuhlinhaber für mittelalterliche Kunstgeschichte an der Otto-Friedrich-Universität in Bamberg.
Ort: Balthasar, Balthasargäßchen 1
(zwischen Schranne und Kaulberg)
Beginn: 20:00
Eintritt: frei

Donnerstag, 18.07.2019: TOM DAVID UHLIG & ANDREAS FISCHER: Verpönte Erfahrung. Videospiele als Realitätszugang

Die Kids vergraben sich zuhause vor Konsolen und Rechnern, zocken Nächte durch und vermeiden so, sich dem »wahren Leben« da draußen zu stellen, das sie überfordert und einschüchtert – so oder so ähnlich geht ein gängiger Alltagsdiskurs über den Konsum von Videospielen. Gaming wird dabei aus der Realität ausgeklammert oder zum Methadonprogramm für Wirklichkeitsflüchtige, bei dem diese sich größer fühlen dürfen, als sie es in Wahrheit sind. Dabei sind Videospiele selbstverständlich Bestandteil der Wirklichkeit: Der Drache in World of Warcraft ist als Niederschlag menschlicher Praxis ebenso echt wie das nächstgelegene Fußballfeld. Erfahrungen, die mit Videospielen gemacht bzw. in ihnen gesammelt werden, sind gesellschaftlich verpönt, außer das Feuilleton bescheinigt ihnen, Kunst zu sein. Was aber macht trotz ihrer weitverbreiteten sozialen Geringschätzung Videospiele so attraktiv? Welche Erfahrungen lassen sich mit ihnen machen? Warum spielen Leute in ihrer Freizeit Arbeitssimulatoren, warum Spiele, die viel zu schwer sind? Warum sind die Spiele von früher am besten? Und warum stimmt das überhaupt nicht? Andreas Fischer und Tom Uhlig nehmen den Abend zum Anlass, um zwischen Plauderei, Begeisterungsanfällen und Niedergeschlagenheit, Let’s Play und Kunstkritik mit anderen Mitteln über diese Fragen zu schwadronieren.
 
Andreas Fischer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Soziologie der FAU Erlangen-Nürnberg und forscht zum Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit sowie zu aktueller Popkultur. Tom David Uhlig hat u. a. Psychologie in Frankfurt studiert. Er ist Mitarbeiter der Bildungsstätte »Anne Frank« und Mitherausgeber der Zeitschrift für psychoanalytische Sozialpsychologie Freie Assoziation.
Ort: Balthasar, Balthasargäßchen 1
(zwischen Schranne und Kaulberg)
Beginn: 20:00
Eintritt: frei

Donnerstag, 11.07.2019: ANDREAS KALLERT: »Theorie der Widersprüche selbst«. Mit Gramsci das Scheitern der Linken verstehen?

Die wesentliche Erkenntnis im Staatsverständnis des italienischen Kommunisten Antonio Gramsci liegt darin, den Staat nicht auf die Apparate selbst zu beschränken, sondern die so genannte »Zivilgesellschaft« ebenso als Teil des Staates zu begreifen. Der »integrale Staat« verbindet Gewalt und Konsens, Repression und Moral. Insbesondere Hegemonie als konsensbasierte Form von Herrschaftsausübung im Kapitalismus spielt hierbei eine wichtige Rolle. Die Diskurse in der Zivilgesellschaft sind daher Teil staatlicher Herrschaft, die durch die stets präsente Gewalt abgesichert ist: »Hegemonie, gepanzert mit Zwang«. Gramscis Ideen sind vor dem Hintergrund des Scheiterns der europäischen Linken zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstanden. Auch die Gegenwart bietet leider zahllose Beispiele des Scheiterns, Versagens und der strukturellen Folgenlosigkeit linker Interventionen: der Nazi-Terror des NSU, das Sterben in deutschen Polizeizellen, die organisierten Verbrechen der Autowirtschaft oder die Folgen des Klimawandels. Nach einer Einführung in Gramscis Staatsverständnis soll diskutiert werden, inwiefern wir mit seiner »Theorie der Widersprüche selbst« die konsequente Fortführung des immergleichen Elends besser verstehen und kritisieren können.
 
Andreas Kallert ist Politikwissenschaftler, arbeitet an der Universität Marburg zu Bankenrettungen in Europa und verdingt sich nebenbei als kritischer Beobachter des NSU-Komplexes und anderer Katastrophen. Zuletzt hat er in der freien uni bamberg über den national-autoritären Wettbewerbsstaat gesprochen.
Ort: Balthasar, Balthasargäßchen 1
(zwischen Schranne und Kaulberg)
Beginn: 20:00
Eintritt: frei

Donnerstag, 27.06.2019: FELIX BOHR: Kriegsverbrecherhilfe – Wie die Bundesregierungen NS-Täter_innen unterstützten

Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg waren in zahlreichen westeuropäischen Ländern NS-Kriegsverbrecher_innen inhaftiert. Im Zuge der Westbindung der Bundesrepublik wurden die meisten von ihnen entlassen. Lediglich in Italien und den Niederlanden verblieben insgesamt fünf Deutsche im Gefängnis: der SS-Mann Herbert Kappler, als Kommandeur der Sicherheitspolizei verantwortlich für das Massaker in den Ardeatinischen Höhlen, sowie die »Vier von Breda«, die maßgeblich an der Ermordung der niederländischen Juden und Jüdinnen beteiligt gewesen waren. Hochrangige deutsche Politiker_innen, unter ihnen die Bundeskanzler Brandt und Schmidt, setzten sich für ihre Freilassung ein. In der Bundesrepublik formierte sich eine einflussreiche Interessenvertretung für die im Ausland inhaftierten NS-Täter_innen, die intensive Hilfe leistete.
 
Felix Bohr ist Historiker und Journalist. Er hat Geschichte und Katholische Theologie in Berlin und Rom studiert und wurde in Göttingen über die bundesdeutsche »Kriegsverbrecherlobby« promoviert. Er arbeitet als Redakteur im Deutschlandressort des Spiegel.
Ort: Balthasar, Balthasargäßchen 1
(zwischen Schranne und Kaulberg)
Beginn: 20:00
Eintritt: frei

Donnerstag, 13.06.2019: VERONIKA KRACHER: Incels – Geschichte, Sprache und Ideologie eines misogynen Online-Kults

»Incel« ist eine Kurzform für »Involuntary Celibates« – also für unfreiwillig im Zölibat Lebende. Die »Incel«-Ideologie behauptet, Männer hätten ein angeborenes Recht auf Sex. Frauen, die sich ihnen verweigern, müssen daher verurteilt und bestraft werden. Der Frust über den vorenthaltenen Sex findet im Internet ein Ventil, wo sich Gleichgesinnte über die als »Femoids« dehumanisierte Frauen austauschen und das eigene Image als Opfer von Feminismus und Gesellschaft pflegen. Sowohl Selbst- als auch Frauenhass bestimmen das Dasein der Incels. Die permanente vermeintliche Kränkung wird untragbar; Wiedergutmachung kann sie nur im misogynen Terror erlangen. Der Vortrag liefert einen sozialpsychologischen und feministischen Einblick in die wohl toxischste Subkultur, die Patriarchat und Internet bisher hervorgebracht haben.
Content Warning: Der Vortrag thematisiert sexuelle Gewalt gegen Kinder und Erwachsene.
 
Veronika Kracher studiert(e) Soziologie und Literatur und arbeitet als freie Journalistin. Neben materialistisch-feministischer Gesellschafts- und Kulturtheorie arbeitet sie momentan vor allem zur Alt Right-Bewegung und der neuen Rechten.
Ort: Balthasar, Balthasargäßchen 1
(zwischen Schranne und Kaulberg)
Beginn: 20:00
Eintritt: frei

Donnerstag, 06.06.2019 : LOTHAR GALOW-BERGEMANN: Digitalisierung. Die Chance für ein besseres Leben ergreifen!

Die Stichworte »Industrie 4.0« und »Digitalisierung der Arbeit« stehen für eine Dynamik der Produktivkraftentwicklung, die unsere Gesellschaft in den kommenden beiden Jahrzehnten von Grund auf verändern wird. Wir werden mit weniger Arbeit immer größere Mengen stofflichen Reichtums schaffen. Da dabei noch mehr Menschen systemlogisch »überflüssig« werden, drohen allerdings enorme soziale Verwerfungen, obwohl sich doch eigentlich ungeahnte Chancen bieten. Die öffentliche Debatte, die über all das geführt wird, wird allerdings weder der Dimension des Problems noch den neuen Möglichkeiten gerecht. Die Welt verändert sich rasend schnell, alte Rezepte taugen nichts mehr. Das Modell »Lebensunterhalt durch Erwerbsarbeit« gerät weltweit in die Krise. Auch in Europa. Neue Wege sind angesagt. Massive Arbeitszeitverkürzung könnte die Antwort auf eine alte Frage ermöglichen: Was heißt Teilhabe am gesellschaftlichen Reichtum? Allerdings nur, wenn wir aus dem Gedankengefängnis der herrschenden abstrakten Reichtumsproduktion, sprich: des Kapitalismus, ausbrechen.
 
Lothar Galow-Bergemann, ehemaliger Personalrat in zwei Großkliniken, schreibt u. a. für konkret, Jungle World und www.emafrie.de.
Ort: Balthasar, Balthasargäßchen 1
(zwischen Schranne und Kaulberg)
Beginn: 20:00
Eintritt: frei

Donnerstag, 30.05.2019: THOMAS BOLLWEIN: Abstiegsangst – Kann der Wohlfahrtsstaat die Rechten aufhalten?

Rechtsextreme Einstellungen sind in allen Bevölkerungsschichten anzutreffen. In Zeiten, die als wirtschaftlich unsicher wahrgenommen werden, steigt insbesondere in der Mitte der Gesellschaft die Anfälligkeit für rechte Deutungsmuster. Diese Entwicklung lässt sich mit der »Deprivations- und Desintegrationsthese« erklären. Der Deprivationsansatz geht davon aus, dass soziale Ausgrenzung und mangelnde Integrationsfähigkeit Ursachen für rechtsextreme Einstellungen sind. Welche Rolle Existenzangst, politische Ohnmachtserfahrungen und instabile soziale Beziehungen beim aktuellen Rechtsruck spielen, soll mit Hilfe europaweit erhobener Daten erklärt werden.
 
Thomas Bollwein promoviert am Lehrstuhl für Arbeitswissenschaften an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg zum Vortragsthema und arbeitet für den Bayerischen Flüchtlingsrat.
Ort: Balthasar, Balthasargäßchen 1
(zwischen Schranne und Kaulberg)
Beginn: 20:00
Eintritt: frei

Donnerstag, 16.05.2019: VERONIKA BOHRN MENA: Die neue Arbeiter_innenklasse – Menschen in prekären Verhältnissen






Scheinselbstständigkeit, Leiharbeit, Befristungen und unbezahlte Pseudo-Praktika: Atypische Beschäftigung hat sich in ganz Europa zum Problem entwickelt. Gute Bildung und Fleiß sind längst keine Garantien mehr für ausreichendes Einkommen. Das Damoklesschwert der drohenden Arbeitslosigkeit setzt Beschäftigte mehr und mehr unter Konkurrenzdruck. Der unbefristete Vollzeitarbeitsplatz ist begehrter denn je, während gleichzeitig immer weniger Beschäftigte davon profitieren. Das durch die Arbeiter_innenbewegung hart erkämpfte Normalarbeitsverhältnis droht zu verschwinden. Der Vortrag liefert einen umfassenden Überblick über die Entwicklung von prekärer Beschäftigung in Europa seit den frühen 1980ern und zeigt auf, dass für Arbeitende kein Weg daran vorbeiführt, sich selbst als Kollektiv zu begreifen, weil solidarisches Handeln die einzige Möglichkeit darstellt, eigene Interessen durchzusetzen.
 
Veronika Bohrn Mena ist Gewerkschafterin mit Schwerpunkt atypische Beschäftigung und Autorin des Buches Die neue ArbeiterInnenklasse – Menschen in prekären Verhältnissen.
Ort: Balthasar, Balthasargäßchen 1
(zwischen Schranne und Kaulberg)
Beginn: 20:00
Eintritt: frei

Donnerstag, 09.05.2019: CLARA AGUSTÍ SANAHUJA: Linksnationalismus in Katalonien Solidarität zwischen Bürger_Innen oder Arbeiter_Innen?

Schon vor dem Ersten Weltkrieg galt Nationalismus in der Linken als Gegenspieler der gesellschaftlichen Veränderung. Gut 150 Jahre später scheint das Thema noch kontroverser geworden zu sein. Nationalstaaten sind etabliert und jede_r identifiziert sich – fast automatisch – mit dem eigenen Land. In der Geschichte Spaniens wiederum lassen sich zwei Konfliktlinien feststellen, die Gesellschaft und Politik seit Jahrhunderten prägen: die Links-Rechts-Achse und die Frage nach »Zentralisierung« oder »Dezentralisierung«. Während die Franco-Diktatur regionale Identitäten leugnete und verbot, wurden in Katalonien kulturelle Forderungen zum Mittel des antifaschistischen Widerstands. In der Demokratie schlugen sich diese Konflikte dann im Parteiensystem nieder. In der katalanischen Linken findet sich daher ein breites Spektrum von Gruppen, Organisationen und Parteien, die für einen unabhängigen katalanischen Nationalstaat eintreten. Aber haben sich die ehemaligen Widersprüche aufgelöst? Und wie rechtfertigen diese Gruppen eine Ideologie, die per se ausgrenzend ist? Der Vortrag unternimmt eine Reise in die Argumente linksnationalistischer Bewegungen in Katalonien, um auf die grundlegende Frage einzugehen: Lässt sich Nationalismus mit der politischen Linken vereinbaren?
 
Clara Agustí Sanahuja ist in Barcelona aufgewachsen und studiert zurzeit Politikwissenschaft in Bamberg. Sie sieht sich als Beobachterin der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung, empfindet aber eine gewisse Sympathie für diese Form des Protestes.
Ort: Balthasar, Balthasargäßchen 1
(zwischen Schranne und Kaulberg)
Beginn: 20:00
Eintritt: frei

Donnerstag, 02.05.2019: HANNAH O‘NEILL: Feministische Perspektiven auf den Brexit

Was hat der Brexit mit Feminismus zu tun? Die britische Diskussion um den EU-Austritt ist kaum zu überschauen. Die politischen und gesellschaftlichen Prozesse, die in ihr wirken, sollen im Vortrag aus einer kritischen Perspektive betrachtet werden. Die Geschehnisse seit dem Referendum und ihr gesellschaftlicher Zusammenhang lassen sich auch mithilfe feministischer Theorien erklären und ihre wiederkehrenden Muster können sichtbar gemacht werden. Die Positionen feministischer Bewegungen in Großbritannien und Nordirland werden dabei in den Kontext bestehender Kämpfe gestellt. Konkret wird der Frage nachgegangen, wie sich der EU-Austritt auf die Lebenssituation von Frauen* auswirken würde und mit welchen Begründungen für eine zweite Abstimmung mobilisiert wird.

Hannah O‘Neill studiert in Bamberg Politikwissenschaft im Bachelor, beschäftigt sich gern mit Feminismus und engagiert sich im Frauen*kampftagsbündnis Bamberg.
Ort: Balthasar, Balthasargäßchen 1
(zwischen Schranne und Kaulberg)
Beginn: 20:00
Eintritt: frei

Donnerstag, 24.01.2019: MIRIAM SCHAPTKE: Sibylle – Zeitschrift für Mode und Kultur. Eine Alternative für die Frauen in der DDR

Sibylle – Zeitschrift für Mode und Kultur wurde vor allem von gebildeten Frauen mittleren Alters gelesen. Sie erschien in geringer Auflage und galt in der Zeitschriftenlandschaft der DDR als Alternativmedium. Wie wurde sie durch die Partei kontrolliert und gelenkt? Und wie lässt sie sich politisch verstehen? Schwerpunkt des Vortrags werden die in der Sybille seit 1966 und bis 1989 erschienenen Frauenporträts in ihrer Beziehung zum »offiziellen« Frauenleitbild der Partei sein.

Miriam Schaptke hat in Bamberg Geschichte und Politik im Bachelor studiert. Ihr weiterer Werdegang ist derzeit noch ungewiss.

Donnerstag, 13.12.2018: ANNA SEIDEL: Popfeminismus und Kritik – Beyoncés Herstory, Marketplace Feminism und warum es kompliziert bleibt

PeterLicht sang 2008 »Es gibt keinen wahren Po im Falschen«, womit er das Dilemma des Pop-Fans auf den Punkt brachte. Mit dem Begehren am und im Pop, der ja Teil der kapitalistischen Verwertung ist, verhält es sich schwierig. Und selbst da, wo Pop und Feminismus zusammengehen, ergeben sich Ambivalenzen. Pop, der einmal für Dissidenz und Revolte stand, ist heute Teil einer patriarchalen Hegemonie geworden, deren Verwertungslogik er folgt. Der kritische Blick aus seinem Inneren heraus ist daher problematisch. Und doch sollte das emanzipatorische Potenzial der Popkultur auch weiterhin nicht unterschätzt werden: Wenn Beyoncé, die ihre Songs selbst schreibt und produziert, als woman of colour selbstbestimmt von Sex, Gleichberechtigung und Mutterschaft singt und in selbstproduzierten Handy-Videos mit dem Mythos der Pop-Marionette aufräumt, lässt sich sagen: Hier schwingt genau die Richtige ihren Po im Pop.

Anna Seidel ist Literaturwissenschaftlerin in Münster. Sie forscht und lehrt zu Popkultur und Feminismen, schreibt als freie Autorin u. a. für das Missy Magazine, die an.schläge und die Jungle World und ist Mitherausgeberin der testcard.

Donnerstag, 29.11.2018: ROBERT SOMMER: »Sex-Zwangsarbeit« – Bordelle in NS-Konzentrationslagern

1941 befahl Heinrich Himmler, Reichsführer-SS und Oberbefehlshaber über die NS-Konzentrationslager, die Errichtung von Bordellen für KZ-Häftlinge. Die Konzentrationslager waren nicht nur Orte des Terrors und des Massenmordes, sondern ebenso Stätten der Zwangsarbeit. Die SS hatte ein gewaltiges Wirtschaftsimperium aufgebaut. Zwangsarbeit war das Rückgrat dieser Wirtschaft. Allerdings fiel die Produktivität angesichts der katastrophalen Lebensbedingungen und der permanenten Gewalt gering aus. Himmler wollte daher Anreize für die Häftlinge schaffen und ließ Lagerbordelle errichten. Bis zum Ende des Krieges eröffnete die SS in insgesamt zehn KZs Bordelle: in Mauthausen, Gusen, Flossenbürg, Auschwitz-Stammlager, Buchenwald, Auschwitz-Monowitz, Dachau, Neuengamme, Sachsenhausen und Mittelbau-Dora.

Dr. Robert Sommer hat 10 Jahre lang das Thema »Sex-Zwangsarbeit« umfangreich untersucht, in allen relevanten Archiven recherchiert sowie Interviews mit Überlebenden führen können. Er ist freier Mitarbeiter der KZ-Gedenkstätten Ravensbrück und Sachsenhausen. Derzeit arbeitet er als Ausstellungsmacher und freier Autor.

Donnerstag, 22.11.2018: JENS OHLIG: Dateneigentum, Urheberrecht und Wissensallmende: Meine Daten gehören mir?

Politik braucht Metaphern. Dass Daten »das neue Öl« sein sollen, hat in der Digitalpolitik die »Datenautobahn« der 1990er abgelöst. Daten sind wertvoller Rohstoff, der in einen Verwertungszusammenhang gebracht werden muss. Selbstfahrende Autos, smarte Heizungen oder Plattformen für soziale Medien – alle sammeln Daten, die sich irgendwie verwerten lassen müssen und die doch auch irgendwem gehören sollen. Aber was ist mit den nicht-personenbezogenen Daten, die dem ständig wachsenden Strom an Messpunkten entstammen, mit dem die Welt gerade neu entdeckt und verstanden wird? Sie unterliegen nicht dem Datenschutz und stellen damit einen Präzedenzfall dar, an dem Urheberrecht, immaterielle Güter und der Anspruch auf freies Wissen für alle neu verhandelt werden können. Vielleicht lautet die Antwort auf die Frage, wem Daten gehören: Uns allen. Und vielleicht sind sie ja gar kein Öl, sondern »das neue Grundwasser«, das alle gemeinsam nutzen.

Jens Ohlig lebt im Internet und Berlin. Beruflich (bei Wikimedia Deutschland) und privat beschäftigt er sich mit Daten und Freiem Wissen. Er hofft darauf, dass am Ende doch noch alles gut wird.

 

 

Donnerstag, 15.11.2018: Eike Sanders: Die „Lebensschutz“-Bewegung.

Die »Lebensschutz«-Bewegung ist endlich wieder im öffentlichen Problembewusstsein angekommen: Die Verurteilung einer Ärztin wegen Verstoß gegen den §219a (»Werbeverbot«) und die offizielle Feststellung, dass die Zahl der Ärzt*innen, die Abtreibungen anbieten, um 40% gesunken ist, zeigen wie faul der gesellschaftliche Kompromiss um das Abtreibungsgesetz schon immer war. Die »Lebensschutz«-Bewegung möchte allerdings nicht nur die Zugänge zu Schwangerschaftsabbrüchen erschweren. Sie führt auch einen Kulturkampf zur Retraditionalisierung der Geschlechter- und Familienverhältnisse, um christliche Moral und das ärztliche Gewissen. Damit ist sie Teil eines konservativen bis extrem rechten, in Teilen antidemokratischen Aufschwungs. In Kulturkampf und Gewissen. Medizinethische Strategien der ›Lebensschutz‹-Bewegung (Verbrecher Verlag 2018) analysieren Eike Sanders, Kirsten Achtelik und Ulli Jentsch die »Lebensschutz«-Bewegung, ihre Stärken, ihre Schwächen und ihre internen Widersprüche und sie liefern das Material für eine kritische Auseinandersetzung mit den »Lebensschützern« – als Grundlage für den nötigen Widerstand.

Eike Sanders arbeitet am Antifaschistischen Pressearchiv und Bildungszentrum Berlin apabiz e.V zum Thema extreme Rechte und Gender mit den Schwerpunkten »Lebensschutz«-Bewegung, Antifeminismus und Rechtsterrorismus. Sie ist außerdem Mitglied im Forschungsnetzwerk Frauen und Rechtsextremismus. Zuletzt hat sie in der freien uni zur Rolle von Frauen im NSU-Netzwerk gesprochen.

Donnerstag, 08.11.2018: NOEMI GÖLTENBOTH: Regretting Motherhood und Postmaternal Thinking – Lässt sich Elternschaft feministisch denken?

Angesichts der zunehmenden Vereinnahmung von »Familienthemen« durch konservative Gruppen scheint eine feministische Auseinandersetzung mit Elternschaft aktueller denn je. Regretting Motherhood erlebt seit ein paar Jahren einen Boom in den sozialen Netzwerken und Sozialwissenschaften. Der Begriff geht zurück auf die Soziologin Orna Donath, die Frauen befragt hat, die es bereuen, Mutter geworden zu sein. Was viele schockiert: Sie bereuen ihr Muttersein nicht primär aufgrund äußerer Umstände und sozio-ökonomischer Schwierigkeiten, sondern an und für sich. Die australische Soziologin Julie Stephens wiederum beschreibt unter dem Schlagwort »Postmaternal Thinking« die kulturelle Angst, sich öffentlich mit Mutterschaft auseinanderzusetzen. Sie ist symptomatisch für das neoliberale Denken. Elternschaft erfordert von denen, die sie ausüben, viel Zeit und Energie für Arbeit, die gesellschaftlich nur wenig Anerkennung findet, da sie keinen unmittelbaren wirtschaftlichen Nutzen abwirft. Beide Ansätze greifen wichtige Aspekte von Elternschaft bzw. Muttersein auf und werden im Vortrag diskutiert.

Noemi Göltenboth studiert in Bamberg Psychologie, interessiert sich für feministische Theorie und ist im Gleichstellungsreferat tätig.

Donnerstag, 01.11.2018: Vernissage und Vortrag von Rudi Maier

Anlässlich der Vernissage wird Rudi Maier vor seinem Vortrag die Ausstellung eröffnen und einleiten. Es gibt Sekt.

Marx. Macht. Reklame.
Seit langem hat die Werbeindustrie die Zeichen und Symbole, die Ikonen und Parolen linker und alternativer Bewegungen für ihre Zwecke entdeckt: Che Guevara, Karl Marx und Rosa Luxemburg, erhobene Fäuste, rote Sterne, auffahrende Wasserwerfer – nichts aus dem Bedeutungs-Repertoire des Protests und der Gegenkultur, das nicht in Anzeigen oder Spots Verwendung fände. Der Kulturwissenschaftler Rudi Maier sammelt seit zwei Jahrzehnten derlei Artefakte. Fast 4.000 von 1967 bis heute befinden sich inzwischen in seinem Archiv. Anlässlich des 200. Geburtstags von Karl Marx in diesem Jahr hat er für die freie uni eine Auswahl zusammengestellt, um – frei nach Marx – den »Verhältnissen ihre eigene Melodie vorzusingen, um sie zum Tanzen zu bringen«.

Ab ca. 20:15 Uhr
Vortrag:
Samba si! Arbeit no! –
Arbeit als Thema im deutschen Schlager
Nicht erst seit Helene Fischer zeigt sich: Schlager sind Pop – und sie polarisieren, in Fans auf der einen, in Schlagerhasser_innen auf der anderen Seite. Zeit, das schwer zu definierende Genre einmal genauer auszuleuchten und klassentheoretisch einzuordnen. Was eignet sich dafür besser, als Schlager auf ihre Bezüge zur Arbeitswelt hin zu befragen? Der Vortrag stellt zahlreiche Beispiele vor und zur Diskussion und liefert damit einen Beitrag zur Diskussion um Klassismus im Pop.

Rudi Maier ist Kulturwissenschaftler und interessiert sich seit langem für unterschiedliche Spielarten der Popkultur in Musik, Werbung oder Arbeitswelt – stets verknüpft mit der Frage des Alltagslebens im kognitiven Kapitalismus. Zuletzt hat er in der freien uni als MC Orgelmüller Firmenhymnen vorgestellt und vorgesungen.

Donnerstag, 05.07.2018: ANJA THIELE: Juden und die Erinnerung an die Shoah in der DDR

Die Massenvernichtung der Juden im Nationalsozialismus wurde in der DDR »ausgeblendet« – das ist weit verbreiteter Konsens. Tatsächlich ist das Bild der Erinnerungskultur im »antifaschistischen« Staat, wie aktuelle geschichtswissenschaftliche Studien zeigen, um einiges komplexer. Der Vortrag möchte die historischen Grundlagen der staatlichen Geschichts- und Gedenkpolitik der DDR skizzieren, um anschließend zu fragen: Gab es abseits der dogmatischen Leitlinien der SED eine Erinnerung an die Shoah? Und welche Rolle nahmen jüdische Kommunist_innen, oft selbst KZ-Überlebende, in diesem Diskurs ein? Am Beispiel verschiedener Akteur_innen jüdischer Herkunft, die sich nachdrücklich für die Erinnerung an den Holocaust einsetzten, soll der geschichtliche Wandel im Umgang mit dem Thema in der DDR nachgezeichnet werden. Damit einhergehend beleuchtet der Vortrag die Vielfalt »jüdischer« Selbstidentifikation in der DDR sowie die Komplexität des Verhältnisses zwischen Juden und SED.

Anja Thiele ist Literaturwissenschaftlerin und promoviert über Erinnerungskultur in der DDR. Sie lebt in Leipzig.

Donnerstag, 28.06.2018: ANDREAS FISCHER / DANIEL DRAVENAU: Utopie – Populismus – Dystopie. White-Trash-Hip-Hop

Als Sprachrohr der ländlichen working- und underclass fungiert Country Rap als Affirmation der Redneck-Kultur, prophezeit den Untergang des Abendlands und die messianische Rückkehr des real outlaw. Bestimmen den urbanen White-Trash-Hip-Hop kritische Selbstermächtigung und die utopische Formulierung des kulturell Anderen, positioniert sich der Country Rap nostalgisch-populistisch gegen die moderne städtische Kultur. Der Vortrag betrachtet Entstehung, Inhalte und Ästhetik des White-Trash-Hip-Hop, insbesondere seines ländlichen Sprösslings, und möchte einer vereinfachten Lesart des Country Rap entgegentreten. Seine regressiven Elemente mögen offensichtlich sein; aber nichtsdestotrotz lassen sich in seinen Mythen, Idyllen und Attacken Wahrheitssplitter, kritische Impulse und utopische Gesten ausmachen, welche die Ohnmacht und Verlogenheit der Populismuskritik des liberalbürgerlichen Diskurses offenbaren. Über die Rekonstruktion der Wahrheitsmomente der »falschesten« Form zeitgenössischer (Populär-)Kultur, der des Populismus, wollen wir das Falsche der »wahrsten«, liberalbürgerlichen (Populär-)
Kultur aufzeigen und darüber eine ernstzunehmende Kritik beider ermöglichen.

Andreas Fischer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Soziologie der FAU Erlangen-Nürnberg und forscht zum Wandel adoleszenter Kultur und Orientierungen sowie zu aktueller Popkultur. Dr. Daniel Dravenau arbeitet u. a. zur kulturellen Reproduktion sozialer Ungleichheit und in der Jugendhilfeplanung.

Donnerstag, 21.06.2018: CLARA FORCHT: Die doppelte Revolte. Künstlerische und politische Praxis des surrealistischen Antikolonialismus

Mitte des 19. Jahrhunderts begannen europäische Künstler*innen, gegen das Korsett der herrschenden Darstellungsnormen aufzubegehren. Neue, unverbrauchte Ausdrucksformen fanden sie in der nichteuropäischen Kunst. Doch bis in die 1920er Jahre hinein war die künstlerische Auseinandersetzung mit dem »Anderen« von einem verklärenden Primitivismus bestimmt. Damit reproduzierte sie Diskurse, die den Kolonialismus rechtfertigten – denn nur wer als »primitiv« kategorisiert ist, kann im Namen einer »zivilisatorischen« Mission kolonialistisch ausgebeutet werden. Erst die Anfang der 1920er Jahre in Paris gegründete surrealistische Bewegung versuchte, diese Diskurse zu verändern. Ihre Revolte war eine doppelte: Mithilfe der Kunst suchte sie, die Unterdrückung des Unbewussten durch die Vernunft zu überwinden – und durch gezielte politische Aktionen sollte die gewalttätige Ausbeutung nichteuropäischer Menschen durch den Kolonialismus abgeschafft werden. Der Vortrag untersucht Anspruch und Wirklichkeit dieses Programms am Beispiel des bildenden Künstlers Max Ernst und stellt die Frage, ob sich über die Hintertür nicht doch wieder kolonialistische Diskurse eingeschlichen haben.

Clara Forcht ist Mitglied der freien uni bamberg und studiert derzeit Kunstgeschichte.