Hier haben wir noch eine Sammlung von Podcasts von bereits stattgefundenen Vorträgen.
Sommersemester 2019
- Marius Mocker: Von jüdischen Politikern und guten Völkern
- Tilman Kallenbach: Pop-Politisierung
- Tobias von Borcke: Die Gegenwart der »Zigeuner«-Wissenschaften
- Attila Cangi: »Space, the final frontier …«
- Jörg Kronauer: Die Think-Tanks der Berliner Außen- und Weltpolitik
- Christoph Klein: Was ist eigentlich so „kritisch“ an der Kritischen Theorie?
- Chris Wilpert: »Der aufsteigende Pfad der Revolte«
- Barbara Umrath: »Keine Emanzipation ohne die der Gesellschaft«
- Markus Hammerschmitt: Alkoholismus, Wahnsinn und Drogen in der russischen Literatur.
- Hendrik Wallat: Transformationsprobleme
- Stefan Meretz: Peer Produktion
- Roland Gratzer: Piraten – Die Erfindung des Sozialstaats
- Lucius Teidelbaum: Nationalismus in der DDR
- Frank Schellenberg: Die Araber_innen, der Nationalsozialismus und die westliche Forschung
- Jana Heine: 20 Jahre Nikolauskompromiss
- Magdalena Marsovsky: Ungarns konservative Revolution
- Sonja Vogel: Die rote Köchin
- Ulrike Wurmthaler / Susanne Kade: Jungen als »Bildungsverlierer«?
- Georg Seeslen: Sex-Fantasien in der Hightech-Welt
- Andreas Kallert/Vincent Gengnagel: „Unten bleiben…!“
- Heinz-Jürgen Voß: Making Sex.
- Simon Dudek: „I hate conservatives but i really fucking hate liberals“
- Ingo Elbe: Privateigentum.“Tief im Wesen des Menschen begründet?“
- Philipp Eichhorn: „Mindestens so gefährlich…“. Antikommunismus in der BRD
- Benedikt Frank: Level up! Gamification und Ausbeutung
- Chris Wilper: Hipsters Selbsthass
Wintersemester 2014/15
Philipp Eichhorn: „Green New Deal“
Die Grüne Gouvernementalität des Kapitalismus
Als die Grünen vor einiger Zeit das Konzept eines »Green New Deal« für die neue Einheit von Wirtschafts-, Sozial- und Umweltpolitik vorstellten, war ihnen Spott nicht nur aus der marxistischen Ecke gewiss. Wer allerdings die letzten 40 Jahre Revue passieren lässt, kommt nicht umhin, ihnen eine avantgardistische Rolle zuzuschreiben. Auch jenseits von Energiewende, Corporate Social Responsibility und Kriegsführung-wegen-Auschwitz haben sie Trends losgetreten, die die kapitalistischen Eliten gerne aufgegriffen haben. Selbst im Umfeld der radikalen Linken erfreuen sich diese Trends kritikloser Sympathie, obwohl sie ja eigentlich nur den verzweifelten Versuch darstellen, die Profitakkumulation aufrecht zu halten. Und oft liegt alldem ein ausgeprägter Sozialchauvinismus zugrunde. Mit welchem Überbau sich der Kapitalismus des 21. Jahrhunderts präsentiert, was Dein Auslandsjahr in Südamerika, Diversity Management und A+++ Kühlschränke damit zu tun haben, und wo dabei überhaupt das Problem liegt, möchte der Vortrag erklären.
Philipp Eichhorn plädiert immer noch für den Hauptwiderspruch, würde auch gerne Weltreisen machen können und braucht dringend eine neue Spülmaschine. Er würde aus den letzten beiden kein politisches Programm machen. Aus dem ersten hingegen schon. Zuletzt hat er in der freien uni bamberg über die Soziale Marktwirtschaft gesprochen.
Sommersemester 2014
Frithjof Grell: Erziehung zur Freiheit?
Die Pädagogik »vom Gesichtspunkt« Rudolf Steiners
Die Pädagogik des Waldorfkindergartens stellt die Erziehungswissenschaft vor große Herausforderungen: Kann es eine »gute« pädagogische Praxis geben, auch wenn die Theorie auf höchst fragwürdigen Annahmen beruht und kaum weniger fragwürdige Ziele verfolgt? Der Vortrag geht dieser Frage nach und kommt zu einem eindeutigen Urteil: Nein! Die Qualität pädagogischer Praxis ist nie nur nach ihren Wirkungen, sondern immer auch vor dem Hintergrund der Motive zu beurteilen, die mit pädagogischem Handeln bezweckt werden. So beurteilen wir die Handlungen von Menschen. Warum also sollte es im Hinblick auf pädagogische Handlungskonzepte und ihre Praxis anders sein?
Prof. Dr. phil. Frithjof Grell ist seit 2008 Inhaber des Lehrstuhls für Elementar- und Familienpädagogik an der Universität Bamberg. Seine Arbeitsschwerpunkte sind: Theorie und Geschichte der frühkindlichen Bildung und Erziehung sowie Professionalisierung und Akademisierung der Erzieherinnenausbildung.
Sevi Meier: Fragend gehen wir voran…
Die zapatistische Revolution
Vor 20 Jahren begann im mexikanischen Bundesstaat Chiapas ein hauptsächlich von Indigenen getragener Aufstand, um der vorherrschenden Armut und Aussichtlosigkeit durch autonome Selbstverwaltung entgegenzutreten. Die Ablehnung von Regierungsansprüchen seitens des politischen Arms der Revolution (EZLN) und die praktizierten fortschrittlichen Formen von Demokratie führten dazu, dass sich selbst die sonst so streitsüchtige Linke auf diese Bewegung einigen kann.
Der Vortrag möchte sie vorstellen, ihre theoretischen Anknüpfungspunkte aufzeigen sowie Erfolge und Rückschläge der zapatistischen Praxis erörtern.
Sevi Meier studiert in Bamberg Berufliche Bildung/Sozialpädagogik und stammt selbst aus einer von Aussichtlosigkeit geprägten Region (dem ländlichen Niederbayern). Seit zwei Semestern gehört er der
illustren Gruppe freie uni bamberg an.
Wintersemester 2013/14
Christoph Klein: Karl Marx‘ Ideologiekonzept
Die Rede über Ideologie erscheint gegenwärtig paradox: Einerseits wird vehement das Ende aller Ideologie postuliert, gar das nachideologische Zeitalter, von den akademischen und politischen Emporen ausgerufen. Ideologie verweist in diesem Fall auf die Vergangenheit, auf etwas, was nicht mehr in unsere Zeit passt und was auf die Ideenmüllhalde der Geschichte gehört. So vage die Bedeutung des Begriffs dabei auch bleibt, können doch einige immer wiederkehrende Konturen, im Lichte des Verwendungszusammenhangs identifiziert werden: ideologisch sind Sachverhalte, wenn sie irrtumsschwanger die Realität entstellen und die Menschen so zum Übel verführen. Andererseits ist die Anklage ideologisch zu sprechen auch heute weder selten noch wirkungslos. Sie kann als diskursive Praxis das Richtschwert sein über Wahrheit und Täuschung; kann die Grenze setzen zwischen Gemeinwillen und Demagogie und darüber den Gegner ins Abseits stellen. Der häufige Gebrauch des für obsolet erklärten Begriffs wirkt jedoch alles andere als entkräftigend. Blickt man genauer hin, wird deutlich, dass dieser Widerspruch tatsächlich das Funktionsprinzip der Anklage ist. So nährt sich der Verdacht, die sich ideologiefrei wähnende Rede könne selbst jenen vergangen geglaubten Irrtümern, also der Ideologie aufliegen, dass das Zeitalter der Ideologien noch lange nicht vorbei sein. Dies gibt Anlass, zurück zu gehen und den Begriff bei einem der wohl wirkungsmächtigsten Personen zu untersuchen, die ihn mitgeprägt haben: Karl Marx. Der Vortrag bezweckt Marxens Ideologiekonzept zu explizieren, dabei eventuelle Probleme offenzulegen und in den Gesamtzusammenhang seiner Gesellschaftstheorie einzuordnen.
Christoph Klein ›studiert‹ aktuell in Bamberg Soziologie, politische Theorie sowie (leider viel zu wenig) Philosophie. Zuletzt hat er in der freien uni über das Thema »Was ist eigentlich so ›kritisch‹ an der Kritischen Theorie?« gesprochen.
Frank Apunkt Schneider: Little Drummer Girl
A Sentimental Journey into the Sadness of Karen Carpenter
Die Geschwister Richard und Karen Carpenter waren als die Carpenters die erfolgreichste Band der 1970er. Lange Zeit galt ihre züchtige und beinahe scheue Geschwistermusik als Aushängeschild des sauberen, weißen Amerika – und als familienfreundlicher Gegenentwurf zum exzessiven Rock. Die zahllosen Widersprüche, aus denen sie konstruiert ist, wurden erstmals im Februar 1983 erahnbar, als Karen Carpenter an den Folgen ihrer Magersucht verstarb. Mit ihrem Tod geriet die Krankheit Magersucht in den Fokus der Öffentlichkeit. Dass Karen Carpenter lange Zeit aber nicht nur Sängerin der Carpenters war, sondern auch deren Schlagzeugerin, ist heute weitgehend vergessen. Dabei wäre sie vermutlich sogar die beste Schlagzeugerin der Welt gewesen, wenn sie (abgesehen von Moe Tucker) nicht sowieso die einzige geblieben wäre.
Dass die wunderschöne und doch immer auch merkwürdig gebrochene Musik der Carpenters schon immer einen komplexen Diskurs über Wahrheit und Unwahrheit des Popversprechens führte, ist erst im Zuge ihrer Neubewertung aufgefallen. In den 1990er wurden die Carpenters von queeren Subkulturen wiederentdeckt und gewürdigt, weil aus ihrer verschlungenen Sounddialektik eine wahre Traurigkeit über die eigene Unwahrheit spricht. Warum sie damit die höchste Vollendungsstufe großer Popkunst darstellt, wird der Vortrag erklären.
Frank Apunkt Schneider ist typischer Poplinker und seit zwei Jahrzehnten manischer Fan der Carpenters. 2013 hat er endlich den Mut gefunden, öffentlich darüber zu reden. Zuletzt hat er in der freien uni über das Thema »Deutschpop halt’s Maul! Für eine Ästhetik der Verkrampfung« gesprochen.
Sommersemester 2013
Marius Mocker: Von jüdischen Politikern und guten Völkern
Antisemitische und (ethno)nationalistische Tendenzen im deutschen Rap
Mit dem Zusammenbruch mehrerer großer Independent-Labels begann im Jahr 2009 eine grundlegende Veränderung der Vertriebs- und Promotionskonzepte in der deutschsprachigen Rap-Landschaft. Durch die Ausbreitung von kostengünstigen HD-Kameras avancierte die Video-Plattform YouTube zum Medium des Straßen- und Gangsterraps, der bisher weder im Musikfernsehen noch im Radio in nennenswerter Weise vertreten war.
Zwar waren diese Genres schon immer von Sexismus, Homophobie und androzentrischen Vorstellungen durchsetzt, Nationalismus und Antisemitismus fanden sich aber meist in deutlich geringerem Maße als heute. Egal ob Sexismus, Verschwörungsideologien, Glorifizierung von Islamist_innen, (Ethno-)Nationalismus oder Judenhass: auf den YouTube-Kanälen der Szene wird nahezu jedes Ressentiment bedient.
Gekennzeichnet ist diese neue Ideologie durch zahlreichen Ambivalenzen: Religiöse Statements stehen neben Lobliedern auf Drogenkonsum, antisemitische Projektionen der Zirkulation neben einer Fixierung auf weltliche Güter, und der universelle Gedanke des HipHop wird immer mehr durch (Selbst-)Ethnisierung verdrängt.
Der Vortrag versucht, diese Entwicklung in kritischer Absicht anhand einzelner Beispiele nachzuzeichnen, um einen Begriff von dieser neuen Ideologie zu entwickeln, die zwischen Kämpfen um Anerkennung und alten Ressentiments entstanden ist.
Marius Mocker ist Redakteur bei Radio Z und lebt, arbeitet und studiert in Nürnberg. Im Rahmen diverser Beiträge befasst er sich mit aktuellen kulturellen und politischen Debatten und Phänomenen.
Tilman Kallenbach: Pop-Politisierung
Aktuell wird wieder vermehrt über das Zusammenspiel von Politik und Popkultur gesprochen. Durch Phänomene wie FREI.WILD scheint die politische Dimension der Plattensammlung noch einmal aufzuflackern. Eine der Protagonist_innen dieser Debatte ist aber ausgerechnet die Band MIA., die selbst in den frühen Nuller Jahren zur Nationalisierung des deutschen Pop beitrug. Dies wirft die Frage auf, wie viel die aktuelle Repolitisierung der Popkultur eigentlich noch mit Emanzipation zu tun hat.
Der Vortrag möchte eine grundlegende Fragestellung zum Verhältnis von Lieblingsplatte und Politik entwickeln. Dazu wird die Theoretisierung des Politischen mit »Post-Politik«, »Pop-Theorie« und aktueller linker popkultureller Praxis konfrontiert. Hieraus ergeben sich viele Fragestellungen. Ist die von Simon Reynolds beschriebene »Retromania« der Soundtrack der »Post-Politik«? Warum ist ausgerechnet Kirmes-Techno die geeignete Untermalung für Antifa-Demos? Und warum ist Unabhängigkeit eigentlich keine Lösung für moderne Babys?
Tilman Kallenbach hat in Bamberg Pädagogik studiert. Mit der fub hat er in der hier verhandelten Sache noch eine Rechnung offen. Er hat dort zuletzt über das Thema »The Moon Asked The Crow. Eine Freakfolk-Hegemonieanalyse« gesprochen.
Tobias von Borcke: Die Gegenwart der »Zigeuner«-Wissenschaften
»Sie gehören nirgendwo dazu und sind doch überall zu Hause«
Das »Forum Tsiganologische Forschung« ist am Institut für Ethnologie der Universität Leipzig angesiedelt und bezeichnet sich selbst als »einzige deutsche Institution, die sich aus ethnologischer Perspektive mit den transnationalen, nationalen und lokalen Gruppen der Roma/Zigeuner beschäftigt«. Es möchte nicht an die lange Tradition der wissenschaftlichen (Re-)Produktion antiziganistischer Stereotype anknüpfen, sondern eine differenzierte Darstellung ziganer Kulturen in ihrer Heterogenität leisten. Einer Tsiganologie auf der Höhe der Zeit dürfe es nicht um die Bestimmung eines wie auch immer gearteten Wesens der ›Zigeuner_innen« gehen, sondern darum, Minderheitengruppen in ihrem Wechselverhältnis mit der jeweiligen Mehrheitsgesellschaft zu verstehen. Die Ansätze der aktuellen »Zigeuner_innen«-Wissenschaft sind allerdings durchaus heterogen: Einige Veröffentlichungen fallen durch die Kolportage von Gerüchten auf dem Niveau der Klatschpresse auf, während andere Arbeiten anti-essentialistische Ansprüche verfolgen. Aber auch ihnen gelingt es oft nicht, sich von Stereotypen zu lösen. Dies wirft die Frage auf, ob Tsiganologie jenseits antiziganistischer Klischees überhaupt möglich ist.
Tobias von Borcke studiert in Berlin Geschichte und ist in der historisch-politischen Bildungsarbeit tätig. Er ist Mitherausgeber des Sammelbandes »Antiziganistische Zustände 2. Kritische Positionen gegen gewaltvolle Verhältnisse«.
Attila Cangi: »Space, the final frontier …«
Der moderne Raumbegriff in der Physik
Was versteht man unter dem Begriff des Raums in der Physik? Wie hat sich das Verständnis dieses Begriffs im Laufe der Zeit gewandelt? Und welche Relevanz besitzt er in Hinsicht auf die Beschreibung von physikalischen Prozessen?
Als Beispiel wird insbesondere der Gravitationslinseneffekt herangezogen, um den modernen Raumbegriff zu veranschaulichen und seine Anwendungen zur Beantwortung von kosmologischen Fragestellungen zu erläutern.
Attila Cangi hat Physik mit dem Schwerpunkt Kosmologie studiert und über theoretische Chemie promoviert. Derzeit forscht er am Max-Planck-Institut für Mikrostrukturphysik auf dem Gebiet der theoretischen Festkörper- und Molekülphysik.
Jörg Kronauer: Die Think-Tanks der Berliner Außen- und Weltpolitik
Zwei große Think-Tanks begleiten die Aktionen der Berliner Außen- und Weltpolitik: die »Stiftung Wissenschaft und Politik« (SWP) und die »Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik« (DGAP). Ihre Analysen und Strategiepapiere bündeln Wissen und stellen es für die operative Außenpolitik bereit. Ihre Kontakte zur deutschen Industrie ermöglichen es zudem, deren Interessen in die Strategiegestaltung einfließen zu lassen. Ihre formale Regierungsferne wiederum erlaubt es ihnen, außenpolitische Sondierungen vorzunehmen und Absprachen anzubahnen, die für die staatlichen Apparate zu heikel wären und informell vorbereitet werden müssen. Dabei werden auch unterschiedliche strategische Grundentscheidungen diskutiert, die früher oder später ihren Niederschlag in der Regierungspraxis finden: Wie stark soll das transatlantische Bündnis ausgebaut werden? Soll durch die Kooperation mit Russland oder China ein Gegengewicht geschaffen werden? Die SWP hat mit dem Versuch, die syrische Opposition zu organisieren, sogar den Einstieg in das operative Geschäft gewagt. Der Vortrag informiert über die Geschichte von SWP und DGAP, über ihre aktuellen Aktivitäten und über ausgewählte von ihnen geführte Debatten.
Jörg Kronauer ist Sozialwissenschaftler und freier Journalist. Er hat über Rechtsextremismus und Themen der deutschen Außenpolitik publiziert. Zuletzt hat er in der fub über »Wirksamste Instrumente der deutschen Außenpolitik. Die weltweite Einflussarbeit der parteinahen Stiftungen« gesprochen.
Christoph Klein: Was ist eigentlich so „kritisch“ an der Kritischen Theorie?
Viele stolpern während ihres Studiums wenigstens einmal über den Begriff der »Kritischen Theorie«; stolpern, eben weil »Kritische Theorie« flüchtiger Neugierde kaum verständlich erscheint. Immerhin nimmt sie sich die Unverschämtheit heraus, mit erschreckender Radikalität und noch erschreckenderer Terminologie zu überfordern. Zu ihrem Verständnis müssten eigentlich erst noch Kant, Hegel und Marx studiert werden. Angesichts dieser Hürde verkehrt sich Neugierde leicht in Resignation. Der Vortrag möchte diesem bedauerlichen Umstand Rechnung tragen und einen Einstieg ermöglichen. Dabei wird der Fokus auf das gerichtet, was »Kritische« von anderer Theorie, etwa dem Positivismus oder der Metaphysik, unterscheidet. Dazu muss zunächst der Begriff der »Kritik« geklärt und bestimmt werden, was Kritische Theorie in Abgrenzung zu »traditioneller« Theoriearbeit kritisch macht. Daran soll schließlich die Relevanz radikaler Gesellschaftskritik aufgezeigt werden, wie sie u. a. von Theodor W. Adorno und Max Horkheimer in der »kritischen Theorie der Gesellschaft« bezweckt wurde.
Christoph Klein studiert aktuell in Bamberg Soziologie, politische Theorie sowie (und leider immer zu wenig) Philosophie und hat seit kurzer Zeit ein wachsendes Interesse an Kritischer Theorie.
Chris Wilpert: »Der aufsteigende Pfad der Revolte«
Geschichtsbewusstsein und Klassenverrat.
Zur Rezeption von Walter Benjamin
Die Fronten, die sich seit dem Erscheinen der »Schriften« Benjamins während ihrer kurzen, fast eruptiven Wirkungsgeschichte abzeichnen, waren bereits in seiner Biografie vorgezeichnet: […] nur als surrealistische Szene vollziehbar wäre etwa die Vorstellung, Scholem, Adorno und Brecht zum friedlichen Symposium am runden Tisch, unter dem Breton und Aragon hocken, während Wyneken an der Tür steht, versammelt zu sehen, sagen wir zu einem Disput über »Geist der Utopie« […] (Habermas) Der revolutionäre Intellektuelle erscheint zunächst und vor allem als Verräter an seiner Ursprungsklasse. (Aragon) Die materialistische Geschichtsdarstellung führt die Vergangenheit dazu, die Gegenwart in eine kritische Lage zu bringen. (Benjamin) [E]r war ein Dichter. (Adrienne Monnier) Was an Benjamin so schwer zu verstehen war, ist, daß er, ohne ein Dichter zu sein, dichterisch dachte […] (Arendt) Benjamin war ein Philosoph. (Scholem) Benjamin hat offenkundig […] sein Denken und Schreiben bewußt als Schauplatz von Widersprüchen angeordnet. (Lindner) Nicht aus Koketterie, sondern mit ganzem Ernst sagte er einmal, er brauche eine gehörige Portion Dummheit, um einen anständigen Gedanken denken zu können. (Adorno) Erst haben die Frankfurter Benjamin zu fälschen gesucht, indem sie systematisch seinen Marxismus herunterspielten. Jetzt versuchen sie es wieder, indem sie ihn zum Klassiker stilisieren und ihn in einer historisch-kritischen Ausgabe begraben, die keine ist, aber für eine solche gilt. (Salzinger) Das Hauptproblem, das sei in Klammern gesagt, der meisten Benjamin-Forscher ist, daß sie versucht haben, den zweideutigen und »esoterischen« Stil nachzuahmen, ohne jene Radikalität zu erreichen, die seiner einzigartigen expositio eine besondere Ausdruckskraft […] verleiht. (Ponzi)
Chris Wilpert wurde in einer ehemaligen Räterepublik geboren und lebt, wohnt und arbeitet je unter prekären Verhältnissen in Offenbach und Bamberg als Literaturwissenschaftler_in (meist), Übersetzer_in (manchmal) und Musiker_in (selten). Er promoviert gegenwärtig über Thomas Harlan. Er sprach zuletzt in der fub über das Thema »Hipsters Selbsthass«.
Barbara Umrath: »Keine Emanzipation ohne die der Gesellschaft«
Eine geschlechtertheoretische Re-Lektüre der Kritischen Theorie
Wenn man/frau von der Kritischen Theorie spricht, kommen vor allem der »autoritäre Charakter«, die »Dialektik der Aufklärung« und die »Kulturindustrie« in den Sinn. Dass sich ihre Gesellschaftskritik auch auf das Geschlechterverhältnis erstreckt, wird dabei meist übersehen. Im Vortrag soll hingegen eine geschlechtertheoretische Re-Lektüre der Kritischen Theorie unternommen werden. Der Schwerpunkt wird auf den Überlegungen zum bürgerlichen Subjekt liegen, das von der Kritischen Theorie aber nicht als »geschlechtliches Neutrum« verstanden wird. Unterschiede in der Konstitution »männlicher« und »weiblicher« Subjekte werden dabei durchaus reflektiert. Gleichzeitig beobachtet die Kritische Theorie, wie der Vortrag zeigen will, Veränderungen in der Subjektkonstitution im Zuge des »Spätkapitalismus«, die für eine kritische Einschätzung gegenwärtiger Entwicklungen im Geschlechterverhältnis fruchtbar gemacht werden können.
Barbara Umrath hat Erziehungswissenschaften, Psychologie und Soziologie studiert. Sie ist Kollegiatin im Graduiertenkolleg »Geschlechterverhältnisse – Normalisierung und Transformation« der Universität Basel und arbeitet derzeit an einer Promotion zu Geschlecht und Kritischer Theorie.
Wintersemester 2012/13
Markus Hammerschmitt: Alkoholismus, Wahnsinn und Drogen in der russischen Literatur.
Deformierte Wirklichkeitswahrnehmung und ideologische Indoktrination
Seit der Romantik sind Alkohol, Wahnsinn und Drogen ein prominentes Motiv der europäischen Literatur. Rausch, Ekstase und Delirium brachten die verborgene, irrationale Seite der menschlichen Natur zum Vorschein, die lange ignoriert worden war. In der sowjetischen Untergrundliteratur soll die durch den Konsum von Drogen und Wahnsinn verzerrte Realität das Andere der sowjetischen Vernunft ans Licht zu bringen. Die Wirklichkeit der Kokainist
_innen, Alkoholiker_innen und Irren steht in krassem Gegensatz zur offiziellen sowjetischen Wirklichkeit und stellt diese radikal in Frage. Geboten wird eine fetzige Powerpointpräsentation über den leidvollen Weg Venedikt Erofeevs nach Petuški, die verqueren schizophrenen Phantasien eines Sonderschülers und die Abenteuer eines kokainsüchtigen Rotarmisten sowie ein paar theoretische Überlegungen zu Delirium, Rausch, Ekstase und Wahnsinn in der Literatur.
Markus Hammerschmitt arbeitet am Lehrstuhl für slavische Literaturwissenschaft und beschäftigt sich mit der Literatur des 20. Jahrhunderts und (post-)strukturalistischer Theorie. Momentan promoviert er über »Realitäts- und Wirklichkeitskonstrukte in der russischen Literatur des 20. Jahrhunderts«.
Hendrik Wallat: Transformationsprobleme
Zum Verhältnis von Kritik und Utopie
Die Frage, die sich radikale Kritik nach dem Ende der klassischen Arbeiter_innenbewegung stellen muss, ist nicht die ihrer offensichtlichen Begründbarkeit angesichts der Irrationalität kapitalistischer Herrschaftsverhältnisse, sondern diejenige nach der Möglichkeit vernünftiger Alternativen. Über diese Frage, die nach den historischen Erfahrungen nicht einfach als ‚bürgerliche Ideologie‘ abzutun ist, ist insbesondere die marxistische Arbeiter_innenbewegung in all ihren Ausprägungen siegesgewiss hinweggegangen. Der Grund hierfür liegt, wie der Vortrag zeigen soll, in einem spezifischen Modus der Verbindung der (wissenschaftlichen) Kritik am Bestehenden mit der (geschichtsphilosophischen) Begründung seiner Überwindung. Was erneut zur Diskussion stehen müsste, ist folglich zum einen die Beziehung von Kritik, Wissenschaft und Utopie, zum anderen das Verhältnis von Theorie und Praxis, Geschichte und Freiheit: »Das Verbot auszudenken, wie es sein solle, die Verwissenschaftlichung des Sozialismus, ist diesem nicht nur zum Guten angeschlagen.« (Theodor W. Adorno)
Hendrik Wallat ist Politikwissenschaftler und Philosoph und lebt in Hannover.
Stefan Meretz: Peer Produktion
Bastelvergnügen oder Revolution?
Was mit Freier Software begann und sich über Freies Wissen (Wikipedia!) und Freie Kultur fortsetzte, hat heute auch den Bereich der materiellen Güter erfasst: die Commons-basierte Peer-Produktion. Handelt es sich dabei um eine qualitativ neue Produktionsweise oder nur um eine temporäre »Anomalie« im Kapitalismus? Welche analytischen Begriffe brauchen wir, um dieses globale Phänomen zu erklären? Welche Konsequenzen hat das für traditionell linke Vorstellungen gesellschaftlicher Transformation? Gibt es am Ende weder Bastelvergnügen noch Revolution? Oder erleben wir die ersten Schritte des Kommunismus, nicht als »ein Ideal, wonach die Wirklichkeit sich zu richten« habe, sondern als »wirkliche Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt« (Marx/Engels)?
Stefan Meretz lebt in Berlin und bloggt auf keimform.de zu Technikentwicklung. Seine theoretischen Schwerpunkte sind Peer-Produktion, Commons und Kritische Psychologie.
Roland Gratzer: Piraten – Die Erfindung des Sozialstaats
Seit Waren mit dem Schiff von A nach B transportiert werden, gibt es Menschen, die diese stehlen wollen. Pirat_innen waren aber oft nicht nur gewöhnliche Verbrecher_innen, sondern suchten bewusst eine Exit-Strategie aus einer per Geburt definierten hierarchischen Welt. In ihrem außerordentlich kurzen »Goldenen Zeitalter« (1690-1730) nutzte die Piraterie geschickt den Dauerkriegszustand der europäischen Großmächte im karibischen Raum. Aus dieser Zeit stammen die ersten Zeugnisse eines gut organisierten Sozialstaates, inklusive Invalidenrente und eingetragener Partnerschaft. Wer nach acht Uhr an Deck Feuer machte, wurde trotzdem erschossen. Der kleine historische Streifzug beginnt bei einem unfassbar arroganten Julius Cäsar und endet mit ein wenig Verständnis für die gegenwärtigen Geschehnisse in Somalia. Auch an Bord: Die Likedeeler, die Probleme der Basisdemokratie und eine Powerpoint-Präsentation.
Roland Gratzer lebt ein spätkapitalistisches Durchschnittsleben als Medienarbeiter für den österreichischen Rundfunk. Seine Freizeit verbringt er als Mediendrüse des Künstler_innenkollektivs monochrom (www.monochrom.at) und als Organisator eines unbekannten Kunst-Festivals in der oststeirischen Provinz (www.komm.st).
Lucius Teidelbaum: Nationalismus in der DDR
Vom »proletarischen Internationalismus« zur »sozialistischen Nation«
Wie internationalistisch konnte die DDR als »sozialistischer Staat deutscher Nation« sein?
Bei der Betrachtung der Geschichte des »anderen Deutschland« soll auch auf die Vorgeschichte des Vorläufers der Staatspartei SED, die KPD, und hier insbesondere auf ihren zeitweiligen Rechtskurs eingegangen werden. Gezeigt wird, dass die DDR – ebenso wie die KPD zu Zeiten der Weimarer Republik – immer wieder die nationale Karte spielte. Von dem Subjekt »Arbeiter_innenklasse« wand sie sich immer mehr dem Subjekt »Deutsches Volk« zu. Der Appell ans Nationale schien bei der Agitation vom Nationalsozialismus geprägter Massen Erfolg versprechend. Über einen Wiedervereinigungs-Nationalismus sollte die Bevölkerungsmehrheit für einen gesamtdeutschen sozialistischen Staat gewonnen werden. In den 1970ern setzte dann der Versuch ein, ein eigenes nationales Erbe zu konstruieren.
Der Vortrag geht kritisch auf den antifaschistischen Selbstanspruch der DDR sowie ihren Antisemitismus, Antizionismus und Antiamerikanismus ein.
Lucius Teidelbaum ist Historiker, freier Publizist und Rechercheur. Seine Fachgebiete sind die extreme Rechte sowie die Grauzonen, die sie umgeben. Er schreibt u. a. regelmäßig für das Antifa-Magazin Der Rechte Rand.
Frank Schellenberg: Die Araber_innen, der Nationalsozialismus und die westliche Forschung
Eine schwierige Konjunktion?!
Nicht viele Themen bieten ein derartig hohes Konfliktpotential wie die Auseinandersetzung mit arabischen Reaktionen auf den Nationalsozialismus und die Shoa. Die Existenz arabischer Kollaborateur_innen mit dem Naziregime, die große Anzahl revisionistischer und/oder relativierender Arbeiten unter den arabischen Veröffentlichungen zum Thema und der virulente Antisemitismus in arabischen Ländern sind für manche Beweis dafür, dass die Erb_innen des Nationalsozialismus heute in der arabischen Welt zu suchen seien. Andere betonen die Vielfältigkeit arabischer Reaktionen in den 1930er und 1940er Jahren oder die Einbettung des Nationalsozialismus in der westlichen Kultur und verurteilen derartige Konjunktionen als unwissenschaftliche Projektionen.
Der Vortrag gibt einen Einblick in die wichtigsten Entwicklungen und Motive der arabischen Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und der Shoa. Ebenso wird die westliche Forschung zu diesem Thema, ihre Defizite, Paradigmen und Desiderate angesprochen, um schließlich die Gründe für die Schwierigkeiten, die dieses Thema noch immer bereitet, zur Diskussion zu stellen.
Frank Schellenberg hat in Bamberg Islamwissenschaft und Arabistik studiert.
Jana Heine: 20 Jahre Nikolauskompromiss
Zum »Wohle des deutschen Volkes«
Die Rede vom »Asylmissbrauch« durch »Scheinasylanten« wurde bereits seit Mitte der 1970er Jahre von CDU/CSU verbreitet, um eine weitere Einschränkung des Asylgrundrechts zu legitimieren. Als Regierungspartei nutzte sie dann die europäische Ebene, um Druck auf die anderen Parteien auszuüben: In intransparenten Verhandlungen entwickelte sie das Konzept des »sicheren Drittstaates«, um Asylsuchende in jene Länder zurückzuschicken, über die sie eingereist sind. Dies wäre – ohne dass die Asylberechtigung geklärt wird – ohne Änderung des Asylgrundrechts nicht zulässig. Noch unter dem Eindruck der Ereignisse von Rostock-Lichtenhagen und Mölln schlossen CDU/CSU, SPD und FDP dann am 6.12.1992 den »Nikolauskompromiss«, mit dem das Asylgrundrecht de facto abgeschafft wurde. Wie es dazu kam, möchte der Vortrag u. a. anhand von Drucksachen des Bundestages, Parteipressemitteilungen, Zeitungsartikeln sowie parteinahen Periodika nachzeichnen.
Jana Heine promoviert über die Europäisierung nationaler Asylbehörden und engagiert sich bei freund statt fremd.
Magdalena Marsovsky: Ungarns konservative Revolution
2010 erhielt die rechte Fidesz 53% der ungarischen Wahlstimmen und damit die absolute Mehrheit. Weitere 17 Prozent stimmten für die »Bewegung für ein besseres Ungarn« (Jobbik), die sich offen zu rechtsextremen Positionen bekennt. Ideologische Rückendeckung finden solche völkischen und demokratiefeindlichen Parteien durch eine Gesellschaft, in der Rassismus, Antisemitismus und Antiziganismus weit verbreitet sind. Die ungarische Nation, so scheint es, ist durch die Wahlen zu einer geschlossenen Gesellschaft g
eworden, die sich als ethnisch homogene Volksgemeinschaft definiert. Auf ein Feindbild angewiesen geht die chauvinistische Politik einher mit der Gleichschaltung von Medien, Kultur, Wissenschaft und Wirtschaft. Wer nicht als Teil des »magyarischen Volkstums« betrachtet wird, sieht sich einem gewaltigen psychischen und wirtschaftlichen Homogenisierungsdruck ausgesetzt. Die wohl am stärksten gefährdeten Gruppen, gegen die sich eine Politik des Hasses richtet, sind Roma, Jüdinnen und Juden und Kosmopolit_innen, Intellektuelle, Linksliberale, Obdachlose und Homosexuelle, die als »verjudet« gelten.
Magdalena Marsovszky ist Kulturwissenschaftlerin, freie Publizistin, Lehrbeauftragte der Hochschule Fulda, Vorstandsmitglied des Villigster Forschungsforums zu Nationalsozialismus, Rassismus und Antisemitismus e.V. und Vorstandsmitglied der in Ungarn tätigen Bürger_innenrechtsbewegung für die Republik (Nachfolgeorganisation der ehemaligen Roma-Bürger_innenrechtsbewegung).
Sonja Vogel: Die rote Köchin
Geschichte und Kochrezepte einer spartakistischen Zelle am Bauhaus Weimar
„Dein Traum, Hannah: Die Proletarier ganz unterschiedliche Gerichte kennenlernen zu lassen – nicht umsonst nennen sie dich die Rote Köchin. Mithilfe des guten Essens möchtest Du den Keim legen für die Ideen einer neuen sozialen Gerechtigkeit.“ (Luigi Veroneli, italienischer Weinpapst)
Hannah war die Rote Köchin, Mitglied einer spartakistischen Zelle am Bauhaus Weimar. Sie betrieb in den 1920ern ein Restaurant – mit dem Kochlöffel wollte sie die Werktätigen für die Revolution gewinnen. Nach Seminar und Küchendienst mischten die Zellenmitglieder Sprengstoff, jagten Faschist_innen und stellten an den Bauhaus-Werkbänken Pistolen her. Hannahs Geschichten zeigen, wie intensiv der Kampf um ein besseres Leben war, aber auch wie skurril und tragisch. Was ist aus Hannah geworden? Unklar. Geblieben sind nur ihre Aufzeichnungen und Rezepte.
»Die Rote Köchin« ist ein autobiografischer Roman zwischen Doku-Fiction, Kochbuch und Agitprop.
Sonja Vogel ist Journalistin und Lektorin im Ventil Verlag.
Ulrike Wurmthaler / Susanne Kade: Jungen als »Bildungsverlierer«?
Über geschlechterbezogene Mythen in der Bildung
Seit einigen Jahren wird über die Benachteiligung von Jungen im weiblich dominierten Erziehungs- und Bildungskontext diskutiert. Eine besorgte Öffentlichkeit moniert, dass Jungen hier keine geeigneten Vorbilder hätten. Erzieherinnen und Lehrerinnen würden sie nicht ihren Neigungen entsprechend motivieren. Schlechtere Bildungsabschlüsse und geringere Chancen auf dem Arbeitsmarkt seien die Folge. Die Forderung nach mehr Männern beim Erziehungs- und Lehrpersonal wird laut …
Im Vortrag wird beleuchtet, wo und wie Jungen und Mädchen aufgrund ihrer Geschlechterzugehörigkeit im Bildungs- und Erziehungssystem benachteiligt werden, in welchen Bereichen aber auch Mythen existieren.
Ulrike Wurmthaler ist Diplom-Psychologin und Psychologische Psychotherapeutin. Sie arbeitet psychotherapeutisch in freier Praxis mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen.
Susanne Kade ist Diplom-Psychologin. Sie arbeitet in einer heilpädagogischen Tagesstätte.
Beide sind aktiv im Bamberger Institut für Gender und Gesundheit e.V. (BIGG e.V.). Ihr Themenschwerpunkt ist geschlechterflexible Erziehung.
Georg Seeßlen: Sex-Fantasien in der Hightech-Welt
Die nach-humane Zukunft hat schon begonnen: Menschen werden immer weiter umgebaut, verbessert, verschönert und maschinell, pharmakologisch oder chirurgisch in Post-Menschen verwandelt: in Maschinenwesen, denkende Roboter, lebende Computerprogramme, Klone, Androiden, gentechnisch veränderte, alters- und leidenslose, transhumane Lebewesen. Ob diese Wesen asexuell, hypersexuell oder metasexuell sein werden …?
Von dem Tag an, da Frankensteins Braut sich in ihren Schöpfer verliebte, entwickelten sich Liebesgeschichten zwischen Menschen und Post-Menschen, zwischen Körper und Maschine, zwischen Wirklichkeit und Simulation. Zweifellos verschwinden die sexuellen Impulse nicht, wenn der Mensch im Labor geboren wird. Nur: Wohin damit? Das Bildnis des sexuellen Post-Menschen wird aus Begehren und Angst zusammengesetzt. Langweilig ist das nicht.
Wird sich der neue Mensch noch verlieben können? Wird es Mischehen geben? Können Post-Menschen sich ihre sexuelle Identität programmieren lassen? Und wie erotisch ist eigentlich dieses Menschenbasteln, von dem Wissenschaftler_innen in Fiktion und Wirklichkeit besessen scheinen? – Ein Streifzug durch die populäre Mythologie, von der Science-Fiction zum Porno, vom Videogame zum Trash-Fernsehen, von der sexuellen Prothese zur Fickmaschine und von Wissenschaft zum Märchen (und zurück).
Georg Seeßlen schreibt über Film, Kultur und Politik u. a. für Die Zeit, Spiegel, taz, konkret, Jungle World, epd Film und verfasst Bücher zu Film und populärer Kultur, darunter: »Quentin Tarantino gegen die Nazis. Alles über INGLOURIOUS BASTERDS« und »Blödmaschinen. Die Fabrikation der Stupidität« (zusammen mit Markus Metz).
Sommersemester 2012
Andreas Kallert/Vincent Gengnagel: „Unten bleiben…!“ Zur Aufklärung der Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds
»Wir haben die Dimension ihres Hasses ebenso unterschätzt wie ihren Willen zur Tat. Die Ermordung von Menschen aus dem einzigen Grund, dass sie als ‚fremdländisch’ empfunden werden, passt in die Gedankenwelt der rassistischen Täter. Das wussten wir. Und wir konnten uns das als Bombenanschlag oder als Brandstiftung vorstellen, aber nicht als eine kaltblütige Exekution« (Heinz Fromm, Präsident des Verfassungsschutzes).
Die so genannten »Sicherheitsbehörden« nahmen zwar die Bombenattentate des NSU über Jahre hinweg billigend in Kauf – aber einen öffentlich gewordenen rassistischen Serienmord konnte auch der Thüringer Verfassungsschutz nicht mehr unterstützen. Der Vortrag wertet Pressemitteilungen und Zeitungsberichte aus und vollzieht den medialen Diskurs nach, seitdem die Mordanschläge als rechtsradikaler Terror aufgedeckt wurden. Aus ihnen ergibt sich ein Netzwerk aus BKA, LKA, Verfassungsschutzämtern, MAD, polizeilichen Stellen und NSU sowie deren Umfeld. Dies führt zu Fragen, wie sie in deutschen Leitmedien nicht gestellt wurden: Die mangelnde Fantasie deutscher Behörden allein kann nicht erklären, in welchem Ausmaß sie rechtsradikalen Terror gedeckt oder allererst möglich gemacht haben. In einem Rechtstaat wäre die Klärung dieses Verdachts eine Aufgabe der Justiz – eine kritische Öffentlichkeit hingegen sollte wiederum in der Lage sein, entsprechende Fragen zu stellen. Dass sie das im Falle der NSU nicht getan hat, wird am vorliegenden journalistischen Material illustriert, aus dem sich durchaus eine informelle Selbstzensur deutscher Medien ablesen lässt.
Vincent Gengnagel und Andreas Kallert haben in Bamberg studiert und in der Freien Uni zuletzt über das Thema »Deutsche Perspektiven auf Ostafrika. Krieg mit anderen Mitteln« gesprochen.
Heinz-Jürgen Voß: Making Sex.
Biologisches Geschlecht erscheint vielen als »sicher« und »natürlich« im Sinne von etwas Vorgegebenem und Unabänderlichem. Das ist es nicht! Auch bei den derzeitigen biologischen Konzepten von Geschlecht handelt es sich um Theorien. Sie sind Resultat einer gesellschaftlichen Ordnung, die zwei Geschlechter unterscheidet – und die in der Bundesrepublik Deutschland noch immer nicht vor Menschenrechte verletzender Gewalt zurückschreckt, wenn es darum geht, eindeutige »Weiblichkeit« und »Männlichkeit« herzustellen. Dabei lässt sich mit aktuellen biologischen und medizinischen Theorien eine Vielzahl an Geschlechtern sogar besser erklären, als bloß zwei oder drei.
Heinz-Jürgen Voß hat Biologie studiert und zu biologischen Geschlechtertheorien promoviert. Seine Forschungsschwerpunkte sind feministische Wissenschaftskritik, queer theory und queer politics.
Simon Dudek: „I hate conservatives but i really fucking hate liberals“
Die politische Philosophie der Serie »South Park«
Als »South Park« in den USA erstmals ausgestrahlt wurde, gab es einen großen Aufschrei: Die Serie führte der liberalen amerikanischen Gesellschaft mittels eines antisemitischen Kindes und eine_r transsexuellen Lehrer_in die eigene Heuchelei vor Augen. Wie es um die »Freedom of speech« bestellt ist, zeigt beispielhaft die Zensur von Episoden, in denen der Prophet Mohammed auftritt. Dabei will »South Park« mehr sein als stumpfer Tabubruch: Trey Parker und Matt Stone, die Macher der Serie, liefern eine kritische Analyse der westlichen Gesellschaft. Der Vortrag möchte zeigen, welche politische Philosophie dahinter steckt und inwieweit sich sowohl das »Libertarian Movement« als auch ideologiekritische Kreise auf sie beziehen können.
Simon Dudek studiert Politikwissenschaft in Bamberg und betreibt den Blog southpark.blogsport.de. In der Freien Uni hat er zuletzt über das Thema
»Oben bleiben – das Phänomen Wutbürger_innen« gesprochen.
Ingo Elbe: Privateigentum.“Tief im Wesen des Menschen begründet?“
Zur Entstehung und Kritik des bürgerlichen Eigentumsbegriffs
Das Privateigentum (an Produktionsmitteln) ist das rechtliche Basisinstitut der kapitalistischen Gesellschaft. Seit ihrer Entstehung wurde daher auch versucht, dieses Institut zu rechtfertigen. Die bei weitem einflussreichste Legitimationsstrategie findet sich in der 1689 veröffentlichten »Zweiten Abhandlung über die Regierung« von John Locke. Das Privateigentum wird hier systematisch als unantastbares Menschenrecht aufgefasst und aus dem Selbsteigentum der Person und seiner Vermischung mit Naturgegenständen im Prozess der Arbeit abgeleitet. Damit wird dem aufstrebenden Bürgertum eine nachhaltige Legitimationsgrundlage verliehen, die noch im BGB nachwirkt.
Der Vortrag soll Lockes eigentumstheoretische Revolution in ihren ideengeschichtlichen Konstellationen vorstellen, ihre immanenten Widersprüche kritisieren und zeigen, wie im so genannten »Besitzindividualismus« der Besitz sich letztlich radikal gegen das Individuum kehrt.
Dr. Ingo Elbe ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Philosophie der Universität Oldenburg und Vorsitzender des Bochumer Instituts für Sozialtheorie. Zuletzt hat er in der Freien Uni über das Thema »Gesellschaftskritik als proletarische Weltanschauung« gesprochen.
Philipp Eichhorn: „Mindestens so gefährlich…“. Antikommunismus in der BRD
Nicht nur für Adenauer war klar, worin der wahre Schrecken der Menschheit bestand. Gerade einmal sechs Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges (und zwei nach Gründung der BRD) schlug der Staatsapparat wieder zu: Während in Frankreich und Italien die Kommunistischen Parteien Massenbasis besaßen, wurde die KPD kurzerhand verboten. Das Andenken an die kommunistischen Opfer des NS und die Würdigung ihres Widerstandes waren im Land der Henker_innen nicht vorgesehen. Der Antikommunismus der BRD war aber kein paranoider Ausrutscher und er war auch nicht bloß konservativer Unduldsamkeit oder der Tatsache geschuldet, dass die Protagonist_innen deutscher Innenpolitik ihre Grundausbildung im NS absolviert hatten. Er war seit jeher integraler Bestandteil der BRD-Ideologie und lässt ich von ihr und ihrem Grundgesetz nicht trennen. Der Vortrag gibt einen Streifzug durch die Geschichte des Antikommunismus in der BRD und zeigt Funktionen und Gehalt einer Ideologie auf, die das zentrale Moment ihrer Vergesellschaftung darstellt.
Philipp Eichhorn ist FUB-Referent, Pirat_innenkinoaktivist und Autor für testcard. Zuletzt hat er am 17.6.2010 in der Freien Uni über das Thema »Nationalbolschewismus. Zum dialektischen Verhältnis von Nationalismus und Sozialismus« gesprochen.
Benedikt Frank: Level up! Gamification und Ausbeutung
Spiele sind beliebt – zumindest beliebter als andere Beschäftigungen des Alltags, zu dessen Mühen und Langeweile sie eine willkommene Ablenkung darstellen. Wäre es daher nicht großartig, wenn das Leben ein bisschen wie ein Spiel sein könnte? Das Schlagwort von der »Gamification« bezeichnet Strategien, den (Arbeits-)Alltag mit Hilfe der Prinzipien des Spiele-Designs zum Spiel werden zu lassen. Geht es nach der Gamedesignerin Jane McGonigal, ist Gamification ein Tool, mit dem sich die Welt verbessern lässt. Mit ihm sollen wir unsere persönlichen Ziele erreichen, aber auch gesellschaftliche Probleme lösen können. Auch andere Akteur_innen zeigen großes Interesse: Marketingabteilungen setzen Gamification zur Kund_innenbindung ein, indem sie ihre Produkte zu Teilen eines großen Spiels machen. Und das Personalmanagement nutzt durch die »spielerische« Gestaltung der Arbeit, Ressourcen: Die Menschen sollen in ihrem Job aufgehen wie in einem Spiel. Gamification funktioniert damit als allgemeines Heilsversprechen wie ebenso als Instrument von Bedürfnismanipulation und Motivationspsychologie. Doch lässt sie selbst da, wo sie etwas verändern möchte, die herrschenden Spielregeln weitgehend unberührt. Für den Spieledesigner Ian Bogost ist sie daher »Exploitationware«. Um Mittel und Wege zu finden, auch in Zukunft nicht mitspielen zu müssen, ist es daher wichtig zu wissen, wie Gamification funktioniert, was sie umgestalten will und wo ihre Grenzen liegen.
Benedikt Frank ist unter anderem Gamer, FUB-Referent, testcard-Autor und Pirat_Innenkino-Gründer. Zuletzt hat er in der Freien Uni über das Thema »Sonntag Abend, 20:15. Tatorte der Erinnerungspolitik« gesprochen.
Chris Wilper: Hipsters Selbsthass
Für die schwarzen Hipster der 1940er war Hipness in Form von Wissen, Mode, Slang und Musik eine subversive, subkulturelle Strategie. Sie verhieß eine Gegenkultur, an die die weißen Hipster der 1950er und 1960er, die »White Negros« und Beatniks, in ihrer Begeisterung für schwarzen Jazz, avantgardistische Literatur und Drogen anknüpften und damit weiße Privilegien aufgaben, zu denen ihre afroamerikanischen Vorbilder freilich niemals Zugang hatten.
Die Hipster der Jahre 1999 bis 2003 sind hingegen längst ein im Mainstream angekommenes Modephänomen. Ihre wesentliche Eigenschaft ist es, keine Hipster sein zu wollen. Neben der Distinktion zeichnen sie sich durch unreflektierten Konsumismus, Whiteness und Männlichkeit aus, denn auch wenn es schwarze Hipster_innen gibt, gibt es sie nicht, weil sie in der aktuellen Hipster-Rezeption nicht sichtbar sind. Ist Hipstertum damit ganz im Mainstream aufgegangen oder wohnt ihm im Rekurs auf die avantgardistische Tradition doch noch ein kritisches Potenzial inne?
Chris Wilpert ist Mitherausgeber_in der testcard, übersetzt für den Ventil Verlag, liest unhipe Bücher und promoviert gegenwärtig zu Thomas Harlan.
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