Donnerstag, 17.11.2016: EIKE SANDERS: Zur Rolle von Frauen im NSU-Netzwerk

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Rechtsterroristische Strukturen werden meist als männerbündische Kampfeinheiten verstanden – und nicht selten sind sie auch als solche konzipiert: Der entschlossene hypermaskuline Nationalsozialist befindet sich im »Rassenkrieg« und übt – alleine oder in einer Terrorzelle organisiert – den »bewaffneten Widerstand«, um eine nationalsozialistische Ordnung (wieder-)herzustellen und seine Frau und Kinder zu beschützen. Durch die Selbstenttarnung des »Nationalsozialistischen Untergrunds« (NSU) ist mit Beate Zschäpe eine Täterin in den Fokus gerückt, an der sich Klischees über die Rolle von Frauen in der Naziszene zugleich brechen und reproduzieren. Es ist bekannt, dass sie selbst früher brutal zugetreten und zugeschlagen hat. Im Münchner Strafprozess inszeniert sie sich jedoch als unbeteiligt, unwissend und abhängig von den beiden Männern. Um den NSU als Netzwerk zu verstehen, müssen nicht nur ihre nachgewiesene Beteiligung, sondern auch die Rollen und Handlungen anderer involvierter Frauen ernst genommen und untersucht werden. Gender ist dabei eine wichtige Analysekategorie.

 

Eike Sanders ist Mitarbeiterin des apabiz (Berlin), Teil von NSU-Watch sowie Mitglied des Forschungsnetzwerkes Frauen und Rechtsextremismus. Sie arbeitet seit Jahren zur extremen Rechten und gender und publiziert u. a. zu den so genannten »Lebensschützern«. Seit 2011 recherchiert und analysiert sie das neonazistische Netzwerk des NSU und beobachtet regelmäßig den Münchner Prozess.

Donnerstag, 10.11.2016: DOMINIC JOHNSON / SIMONE SCHLINDWEIN / BIANCA SCHMOLZE: Tatort Kongo, Prozess in Deutschland

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Jahrelang und bis vor kurzem führten zwei Ruander von den deutschen Behörden unbemerkt von Deutschland aus die im Kongo kämpfende ruandische Miliz Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas (FDLR), ein Sammelbecken flüchtiger Täter_innen des ruandischen Völkermordes von 1994. Die FDLR ist für brutale Verbrechen im Kongo verantwortlich. Ihr Präsident Ignace Murwanashyaka und der Vizepräsident Straton Musoni wurden 2009 in Deutschland festgenommen, kamen in Stuttgart vor Gericht und wurden 2015 schuldig gesprochen. Dennoch kämpft die FDLR weiter. Die Aufarbeitung der deutschen Mitverantwortung am Kriegsgeschehen im Afrika der Großen Seen steht noch am

Anfang. Warum macht die politische Führung einer ruandischen Exilmiliz Deutschland zu ihrer Operationsbasis? Und warum war es so schwierig, ihr auf die Spur zu kommen?

 

Dominic Johnson, Simone Schlindwein und Bianca Schmolze haben nach jahrelanger Recherche in Deutschland und Afrika sowie vier Jahren Prozessbeobachtung in Stuttgart die Hintergründe dieses kaum bekannten Kapitels deutsch-afrikanischer Zeitgeschichte in einem Buch erläutert.

Donnerstag, 03.11.2016: MARKUS KURTH: Christiane Schulte gegen die Human-Animal Studies. Stil und Grenzen linker Kritik

Ein Anliegen des fingierten Zeitschriftenbeitrags der Gruppe Christiane Schulte war es, die Human-Animal Studies zu diskreditieren. Dort wird behauptet, die Erforschung gesellschaftlicher Mensch-Tier-Verhältnisse stelle einerseits eine unkritische Mainstreamwissenschaft dar und sei andererseits der wissenschaftliche Arm der Tierrechtsbewegung und damit latent menschenfeindlich und rechtsoffen. Diese Argumente sind weder stichhaltig noch neu, aber sie finden Gehör. Im Vortrag wird deshalb über das Verhältnis von Wissenschaft und emanzipatorischer Politik in den Human-Animal Studies zu sprechen sein sowie über die Unfähigkeit linker Kritik zur solidarischen Debatte. Die Analyse der Argumente und Rhetorik gegen die Inklusion von Tieren in linke Theorie kann dabei weit über die konkrete Auseinandersetzung hinaus aufzeigen, dass auch diese Debatten keinen machtfreien Raum darstellen, in dem einfach das bessere Argument gewinnt.

 

Markus Kurth ist Soziologe und forscht als Gründungsmitglied von Chimaira – Arbeitskreis für Human-Animal Studies und Mitherausgeber mehrerer Sammelbände (zuletzt: »Das Handeln der Tiere«, transcript 2016) zu verschiedenen Aspekten der gesellschaftlichen Mensch-Tier-Verhältnisse.

Donnerstag, 27.10.2016: TOM D. UHLIG: Wahnmachen. Eine Adoleszenzkrise des völkischen Protests 

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Die »Montagsmahnwachen für den Frieden«, die seit dem Frühjahr 2014 in bis zu 90 deutschen Städten stattfinden, sind mit dem Auftritt von »Pegida« weitgehend aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwunden. Dennoch überdauern die ideologischen Motive in den nachfolgenden »neurechten« Bewegungen. Gegründet in der Absicht, eine militärische Konfrontation der NATO mit Russland zu verhindern, entwickelten sich die Mahnwachen schnell zu einem Forum für Verschwörungstheorien, die internationale Politik oder Phänomene der alltäglichen Lebenswelt erklärbar machen und eine Fremdgruppe hinter allem Übel ausmachen. Der Vortrag befragt den Antiamerikanismus und (strukturellen) Antisemitismus der Konspirationist_innen auf seine psychosoziale Bedeutung und seine komplexitätsreduzierende Logik. Welche Bedeutung kommt dem verdinglichten Gegner für die eigene (nationale) Identität zu?

Tom David Uhlig hat in Frankfurt u. a. Psychologie studiert und ist Mitglied des AK kritische Psychologie sowie Mitherausgeber der Freien Assoziation. Zeitschrift für psychoanalytische Sozialpsychologie.

Donnerstag, 21.07.2016: NIKO DEHDARIAN: Die bayerischen Abschiebelager und das solidarity4all-Protestcamp

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Seit mehr als einem halben Jahr hat es sich die bayerische Landesregierung zur Aufgabe gemacht, Flüchtlinge aus den Balkanstaaten möglichst schnell „rückzuführen“ und dafür zwei riesige Abschiebelager in Ingolstadt/Manching und Bamberg geschaffen. Angeblich handele es sich nur um sogenannte „Wirtschaftsflüchtlinge“. Welche Schicksale die Menschen oft wirklich ereilen und wie perfide die Abschiebe- und Abschreckungspraxis in den Lagern ist, soll in dem Vortrag gezeigt werden.

Der Referent engagiert sich in der Bamberger Initiative „Solidarität mit den Geflüchteten vom Balkan“, die für eine humane Flüchtlingspolitik und eine Abschaffung der Abschiebelager eintritt. Als Teil eines überregionalen Bündnisses organisiert die Initiative das solidarity4all-Protestcamp mit. Der Vortrag soll auch dazu dienen eine Aussicht auf das Camp und die verschiedenen Aktionen zu geben.

Ort: Balthasar, Balthasargässchen 1
Beginn: 20 Uhr
Eintritt: frei

Donnerstag, 14.07.2016 FRANK APUNKT SCHNEIDER: Indie-Hände-gespuckt … Zur Kritik der DIY-Ideologie

Unabhängige Labels – so genannte »Indies« – spielten eine entscheidende Rolle für die Entwicklung der Popmusik, nicht erst seit der Indie Sun Records Elvis Presley entdeckt hat. Im Unterschied zu den »Majors« sind sie mittelständische Unternehmen, die Nischenmärkte bedienen. In den späten 1970ern entstanden allerdings »Independentlabels«, die ihre Unabhängigkeit und das Prinzip der Selbstorganisation als politisches Statement und als Bestandteil einer politischen Gegenkultur verstanden wissen wollten. Für einen kurzen Moment ließ sich ästhetische Dissidenz mit politischer Kritik in eins setzen. Die Do-It-Yourself-Ästhetik von Punk und Post Punk haben zu einer weltweiten Explosion an »unabhängig« und »alternativ« produzierter Musik beigetragen. In den 1980ern entstand hieraus »Indie« als eigenes Musikgenre und »Unkommerzialität« als gefühlter, unklar definierter Wert. Sie bilden die Grundlage der DIY-Ideologie, der Medien als Ersatz für Politik dient und die das Bewusstsein für die Widersprüche des Kapitalismus (die zu thematisieren lange Zeit das wenn auch meist unbewusste politische Moment von Pop war) durch das Wellnessangebot harmonischer Widerspruchsfreiheit ersetzt hat. Damit haben die Indie- und die DIY-Szene in fataler Weise zur Entpolitisierung von Pop beigetragen.

Frank Apunkt Schneider ist unfreundlicher Plattenhändler, unfreier Autor, Mitherausgeber der Zeitschrift Testcard, Mitglied des Künstler_innenkollektivs monochrom und wirkt in der Freien Uni mit. Zuletzt hat er dort über Karen Carpenter gesprochen.

Ort: JUZ Bamberg (Margaretendamm 12a) (!)
Beginn: 19:00 (!)
Eintritt: frei

Donnerstag, 07.07.2016 LUKAS HOHENDORF / SOPHIA LÖSCHE: Der 8. Mai in Bamberg. Erinnerungskultur zwischen Befreiung und Niederlage

07 07 LÖSCHE HOHENDORF

Donnerstag, 07.07.2016
LUKAS HOHENDORF / SOPHIA LÖSCHE: Der 8. Mai in Bamberg
Erinnerungskultur zwischen Befreiung und Niederlage

Die Unterschrift des Oberkommandos der Wehrmacht besiegelte am 8. Mai 1945 die bedingungslose Kapitulation. In Frankreich oder Russland wird er als Gedenktag begangen. Auch in Deutschland war er mal gesetzlicher Feiertag – wenn auch nur in der DDR. Die Bundesrepublik haderte lange damit, den »Tag der Niederlage« zu begehen, um dessen Deutungshoheit noch immer gekämpft wird. Die Geschichte des 8. Mai ist die Geschichte der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus. Der Vortrag möchte sich am Beispiel Bambergs mit der deutschen Erinnerungskultur auseinandersetzen: In den Akten der Stadt gilt der erste Eintrag zum 8. Mai einer Kranzniederlegung am Ehrenmal des Friedhofs 1985, die eher an den Volkstrauertag denken lässt: Eingeladen waren nur Reichswehr- und Vertriebenenvetreter_innen.

Sophia Lösche hat in Bamberg Germanistik studiert und lebt heute in Leipzig. Erfahrungen zur Bamberger Politik hat sie in ihrer Karriere als Kommunalpolitikerin gesammelt, aus der dann aber doch nichts geworden ist.

Lukas Hohendorf studiert in Bamberg Politikwissenschaft und hat die Studierenden in zahlreichen Bürger_innen-Einbindungs-Veranstaltungen vertreten, wobei er einmal fast einen kleinen Erfolg verbuchen konnte.

Ort: Balthasar, Balthasargäßchen 1 (zwischen Schranne und Kaulberg)
Beginn: 20:00
Eintritt: frei

Donnerstag, 30.06.2016: MARC SCHWIETRING: Strafjustiz als politische Aufklärung? Fritz Bauers Verständnis der Frankfurter Auschwitz-Prozesse als Perspektive auf das Münchner NSU-Verfahren

29 06 SCHWIETRING

MARC SCHWIETRING:
Strafjustiz als politische Aufklärung? Fritz Bauers Verständnis der Frankfurter Auschwitz-Prozesse als Perspektive auf das Münchner NSU-Verfahren

Der ehemalige hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer hat am Beispiel der Frankfurter Auschwitz-Prozesse nach Sinn und Zweck von NS-Prozessen in Deutschland gefragt und den Ansatz einer »Prozessführung im politischen Raum« entwickelt. Im Vortrag soll dieser Ansatz – zusammen mit Bauers Rolle bei den Prozessen – erläutert und zeitgeschichtlich eingeordnet werden. Ebenso sollen seine Grenzen aufgezeigt werden. Als öffentlichkeitswirksame Strafgerichtsprozesse haben sie die Thematisierung des Vernichtungssystems sowie die Auseinandersetzung mit Täterschaft und Schuld ermöglicht und damit zur Vergangenheitsaufarbeitung in der frühen Bundesrepublik beigetragen. Dies wirft die Frage auf, inwiefern Bauers Ansatz heute noch aktuell ist und was er im Sinne gesellschaftlicher Aufklärung zum NSU-Prozess vor dem OLG München beitragen könnte, der häufig als »eines der bedeutendsten Verfahren der deutschen Nachkriegsgeschichte« bezeichnet und als gesellschaftliche Zäsur beschrieben werden.
Marc Schwietring ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Politikwissenschaft der Georg-August-Universität Göttingen. Aktuell arbeitet er in Forschungsprojekten zum NSU-Prozess und zu Rechtsterrorismus in Niedersachsen.

Ort: Balthasar, Balthasargäßchen 1 (zwischen Schranne und Kaulberg)
Beginn: 20:00
Eintritt: frei

Donnerstag, 23.06.2016: AK LOUKANIKOS: »History is unwritten« Kritische Wissenschaft und linke Geschichtspolitik

23 06 AK LOUKARNIKOS

Am Beispiel des Sammelbands History is unwritten (2015) stellt das Autor_innenkollektiv Loukanikos theoretische und praktische Möglichkeiten vor, sich der Geschichte und ihrer Repräsentation zu nähern und in bestehende dominante Geschichtsbilder einzugreifen. Solche vorherrschenden Erzählungen, etwa von der deutschen Nation oder der Marktwirtschaft, sind von Homogenisierungen und Auslassungen bestimmt. Vor dem Hintergrund der geschichtspolitischen Intervention durch politische und künstlerische Initiativen wollen wir diskutieren, wie ein kritisches Eingreifen in solche Erzählungen aussehen kann.

Das AK Loukanikos stromert seit 2010 durch Berlin und erkundet Fragen kritischen Geschichtsbezugs. Seine Veröffentlichungen seit 2012 sind stets in kollektiven Denk-, Arbeits- und Schreibweisen entstanden.
https://historyisunwritten.wordpress.com/

Ort: Balthasar, Balthasargäßchen 1 (zwischen Schranne und Kaulberg)
Beginn: 20:00
Eintritt: frei

fub presents zweimal Kritik der gegenwärtigen Ökonomie: 09.06.2016 Prekarität als akademischer Normalzustand UND 10.06.2016 Firmenhymnen und Firmensongs mit MC Orgelmüller

09 06 & 10 06 KAPPLER ORGLMÜLLER

Donnerstag, 09.06.2016
FLORIAN KAPPELER:
»Es möcht’ kein Hund so länger leben«
Prekarität als akademischer Normalzustand

Prekäre Arbeitsverhältnisse an deutschen Hochschulen sind die Regel: 90% der Stellen im akademischen Mittelbau sind befristet. Akademische Lebensläufe enden häufig im Nichts. Diese Verhältnisse, die aus dem neoliberalen Umbau der Universitäten resultieren, werden politisch durchaus skandalisiert, doch die Kritik ist bislang weitgehend folgenlos geblieben. Der Vortrag zeigt – auch anhand literarischer Beispiele –, wie prekäre Arbeitsbedingungen die eigene Biographie beeinflussen und Widerstand erschweren. Im Anschluss soll diskutiert werden, wie der Widerstand gegen prekäre Arbeitsverhältnisse gestärkt werden kann.

Dr. Florian Kappeler ist Postdoc an der Graduiertenschule für Geisteswissenschaften Göttingen (GSGG). Er arbeitet zur Literatur und Geschichtsschreibung der modernen Revolution und ist Teil der Redaktion des Online-Literaturmagazins undercurrents – Forum für linke Literaturwissenschaft.

Ort: Balthasar, Balthasargäßchen 1 (zwischen Schranne und Kaulberg)
Beginn: 20:00
Eintritt: frei

Freitag, 10.06.2016
MC ORGELMÜLLER:
»Ein Herz braucht das Blut, so wie wir unsere Kunden …«
Firmenhymnen und Firmensongs mit MC Orgelmüller

Mit Musik geht alles besser. Dies haben in den letzten Jahren auch zahlreiche Unternehmen für sich entdeckt. Seitdem lassen sie ihre Beschäftigten ein Loblied auf die Firma singen. Lieder dieser Art heißen »Firmenhymne«, »Firmensong« oder »Motivationssong«. Die Beschäftigen werden in ihnen dazu aufgefordert, sich hochmotiviert, »mit Leib und Seele« einzubringen und sich »ganz und gar« mit dem Unternehmen zu identifizieren. Der Alleinunterhalter MC Orgelmüller präsentiert ausgewählte Firmenhymnen auf der Heimorgel, singt und swingt mit dem Publikum und gibt heiter-aufklärerische Einblicke in dieses junge musikalische Genre, das es beim genaueren Hinhören in sich hat: Affektive Arbeit, ihre Subjektivierung und die Entgrenzung von Arbeit und Leben sind sein Thema. Die musikalische Reise führt in die Werkshallen von VW, Opel und Mercedes, an die Supermarkt-Kassen von Kaufland, Kaiser’s und Edeka sowie in die Personalabteilungen von Henkel, Air Berlin und IBM – und fragt ganz nebenbei, was eigentlich aus dem Arbeiterlied geworden ist …

MC Orgelmüller aka Rudi Maier tourt mit seinen Lecture Performances seit vielen Jahren durch die Clubs und Hörsäle der Republik, besingt linke Mythen, berühmte Bankräuber_innen und den seltsamen Alltag der Menschen im kognitiven Kapitalismus. Firmenhymnen sind Teil seiner (kultur-) wissenschaftlichen Forschung, in der er sich seit langem mit dem Wandel der Arbeitswelt beschäftigt. Zuletzt hat er in der Freien Uni über die Kommunikationsguerrilla gesprochen.

Ort: Balthasar, Balthasargäßchen 1 (zwischen Schranne und Kaulberg)
Beginn: 20:00
Eintritt: frei