Alle Beiträge von fub

Donnerstag, 30.04.2020: INITIATIVE KRITISCHES GEDENKEN ERLANGEN: Der antisemitische Doppelmord an Shlomo Lewin und Frida Poeschke

Am 19.12.1980 wurden Shlomo Lewin und Frida Poeschke in Erlangen Opfer eines antisemitischen Mordanschlags. Der mutmaßliche Täter, Uwe Behrendt, stand der rechtsextremen Wehrsportgruppe Hoffmann nahe, floh nach der Tat in den Libanon und entzog sich so der Verantwortung. Zahlreiche Umstände der Tat sind bis heute ungeklärt. Der Vortrag gibt einen Überblick über die Tat sowie die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse, die sie zuerst möglich und im Anschluss daran vergessen machten. Um das Attentat aufzuarbeiten und kritisch daran zu erinnern, gründete sich im Januar 2019 die initiative kritisches gedenken erlangen. Der Vortrag dokumentiert den momentanen Stand der Recherche sowie die Perspektive und das Selbstverständnis, das diesem Gedenken zugrunde liegt. Der Begriff der „Selbstverunsicherung“ wird dabei als entscheidende Voraussetzung für kritisches Erinnern und Gedenken betrachtet. Er soll im Vortrag erläutert und im Anschluss daran zur Diskussion gestellt werden.

Die initiative kritisches gedenken erlangen hat sich im Januar 2019 gegründet um das antisemitische Attentat auf Shlomo Lewin und Frida Poeschke aufzuarbeiten. Damit schließt die Initiative an die Arbeit verschiedener Erlanger antifaschistischer Gruppen an, die seit 2009 jedes Jahr zum Jahrestag der Ermordung am 19. Dezember ein öffentliches Gedenken in der Erlanger Innenstadt veranstaltet haben. Auf diese Weise sollen Shlomo Lewin und Frida Poeschke erinnert und die Verhältnisse angeklagt werden, die sie zu Opfern gemacht haben, bis heute fortexistieren und auf das Vergessen drängen.

Ort: Aufgrund der geltenden Einschränkungen können die Veranstaltungen der Freien Uni bis auf Weiteres nicht wie gewohnt im Balthasar stattfinden.

Beginn: 20:00

Eintritt: frei

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Vorgehen für Online-Vorträge der fub allgemein:
Besucht zum angegebenen Vortragstermin um 20 Uhr die Seite https://l.linkspad.de/p/fub-bamberg-digital. Hier teilen wir den Link zum Video und ggf. ein Passwort zum Öffnen der Datei und Moderieren den Vortragsabend. Innerhalb des Pads werden Fragen zum Vortrag gesammelt, die dann entweder direkt nach dem Vortrag oder möglichst zeitnah in einer gesonderten Videoantwort beantwortet werden.

Wie kann ich die Fub online sehen?

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FUB statt Corona

Viele haben spekuliert, viele haben danebengelegen. Die freie uni bamberg findet auch in diesem Sommersemester statt! Dass wir natürlich keine Happenings im Balthasar feiern können, dürfte klar sein. Daher: Donnerstags ab jetzt Netflix ausmachen und lieber die fub streamen. Wie das alles geht, wie das Programm überhaupt aussieht und ob unsere Referent*innen bezahlt werden (natürlich!), schreiben wir demnächst. Der erste Vortrag findet bereits am 30. April statt. freie uni bamberg jetzt frei nach Hause.

Donnerstag, 30.01.2020: ANGELIKA SCHWARZ: Das Grundrauschen der Gesellschaft



Der Vortrag beschäftigt sich mit den Konjunkturschwankungen der gesellschaftlichen Affektökonomie. Dazu wird das Phänomen der Angst in einer kultursoziologischen wie kulturhistorischen Lesart auf den Begriff gebracht, um seinen Status als authentische Gefühlskommunikation in reaktionären Diskursen der Gegenwart zu destabilisieren. Zudem soll der Versuch unternommen werden, Angstkomplexe in ihrer allgemeinen Funktion für die Epochensignatur der Moderne zu verstehen. Denn die Psychoressourcen der Akteur*innen dienen nicht zuletzt als Antriebsstrukturen des Kapitalismus, der seine Betriebsamkeit gleichsam durch Angsterzeugung wie durch das Feilbieten passender Angstbewältigungsstrategien sichert.

Angelika Schwarz hat Soziologie, Philosophie und Politikwissenschaft studiert und arbeitet zurzeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Soziologie an der TU Darmstadt.
                     
Ort: Balthasar, Balthasargäßchen 1
(zwischen Schranne und Kaulberg)
Beginn: 20:00
Eintritt: frei

Donnerstag, 23.01.2020: FRANK APUNKT SCHNEIDER: The »German Church Rock«. Die fremde und seltsame Welt des Sakropop

Der deutsche Sakropop wurde um 1970 vom Erfolg christlicher Rockmusik in den USA inspiriert. Teile der Amtskirchen sahen darin eine willkommene Gelegenheit, wieder zur Jugend vorzudringen, indem deren Kultur christianisiert wurde. Sakropop blieb jedoch ein deutsches Sonderformat, das wenig mit dem hochprofessionellen, aber stinklangweiligen Rock zu tun hatte, dann christliche Bands in Amerika spielten. Während seiner Blütezeit (bis 1980) blieb er (nach aktuellem Ermittlungsstand) das seltsamste und bizarrste Genre, das es in der Popmusik bisher gegeben hatte. Die Jugendlichen, die er in ihrer Sprache anzukumpeln versuchte, konnten damit nichts anfangen. Er blieb die Angelegenheit einer fast unsichtbaren und völlig unvermittelbaren kircheninternen Subkultur. Erst die Sammler*innen von so genannter »Incredibly Strange Music« haben ihn wiederentdeckt. Sie erst können seine besonderen Qualitäten würdigen. Als deutschsprachige und als christliche Popmusik hat der Sakropop ein beeindruckendes worst of both worlds abgeliefert. Seine ebenso heillose wie himmelschreiende Verkrampftheit setzt die zahllosen Haupt- und Nebenwidersprüche zwischen religiösem Dogmatismus und popkulturellem Freiheitsversprechen adäquat in Szene und zeigt, wie unwohl sich die ewiggestrige Ideologie der Religion in der modernen Welt fühlt, mit der sie sich aber trotzdem irgendwie arrangieren zu müssen glaubt. Frank Apunkt Schneider wird Höhepunkte seiner umfangreichen Sakropop-Sammlung vorspielen und umfassend erläutern.

Frank Apunkt Schneider ist unfreundlicher Plattenhändler, unfreier Autor und selbsternannter Poptheoretiker, Mitherausgeber der testcard und der deutsche Außenposten der Kulturbewegung monochrom. Im Ventil-Verlag ist 2015 sein Buch »Deutschpop halts Maul. Für eine Ästhetik er Verkrampfung« erschienen. Zuletzt hat er in die Freien Uni über die Carpenters gesprochen.
 
Ort: Balthasar, Balthasargäßchen 1
(zwischen Schranne und Kaulberg)
Beginn: 20:00
Eintritt: frei

Donnerstag, 12.12.2019: RAPHAEL SINGER: »Othering« und »Imaginäre Geographien«. Soziale und räumliche Figurationen der Abgrenzung in sozialen Medien


Soziale Medien bieten eine ideale Arena für die öffentliche Auseinandersetzung um Geflüchtete. Ressentiments scheinen sich dort aktuell besonders schnell zu verbreiten. Der Vortrag möchte zeigen, wie kollektive Identitäten (die »das Eigene«konstruieren, indem sie »das Fremde« bestimmen) in Sozialen Medien auf rassistische, nationalistische und andere hegemoniale Konzepte zurückgreifen und welche Rolle dabei die räumliche Dimension von Ausgrenzung und Grenzziehungen spielt. Der postkoloniale Theoretiker Edward Said beschreibt dies in Konzepten wie »Othering« und den »Imaginären Geographien«. Als Beispiel hierfür sollen Kommentare von der facebook-Seite »Kein Asyl in der Reinhardts-Kaserne« herangezogen werden, die sich gegen die Landeserstaufnahmestelle in Ellwangen richten.

Raphael Singer arbeitet als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Kulturgeographie an der Universität Bamberg.
 
Ort: Balthasar, Balthasargäßchen 1
(zwischen Schranne und Kaulberg)
Beginn: 20:00
Eintritt: frei

Donnerstag, 05.12.2019: ANNA REGENER: Nicht mit und nicht ohne dich. Heimat und Fremde als Grundkonstanten von Volk und Nation

Alle sollen eine haben, aber niemand weiß so recht, was das ist. Und wer dann doch keine hat, ist zum Suchen verdammt. »Heimat« war jedoch schon immer verloren, schon immer im Gestern. Entstanden als romantische Gegenbewegung zu Veränderung, Erweiterung, gesteigerter Komplexität und Verschiebung von Machtstrukturen, bezieht sich »Heimat« als Bewahrerin alles vermeintlich Guten, auf das Bild einer idyllischen Vergangenheit, die es nie gegeben hat. Die völkische und nationalistische Interpretation von Heimat, unterstützt durch Landeskunde und Geschichtswissenschaften, hat Bilder geschaffen, die auch heute noch wirken und identitätspolitisch genutzt werden. Der Vortrag gibt einen Überblick über die historische Entwicklung des bürgerlichen wie des sozialistischen Heimatbegriffs, die eng vernetzt ist mit der Erfindung und Etablierung von Volk und Nation.

Anna Regener hat in Bamberg Historische Geographie studiert und sich dabei mit Erinnerungskultur, Nationenbildung und dem leidigen Thema »Heimat« auseinandergesetzt und freut sich auf die gesicherte Zukunft innerhalb der neoliberalen Wissenschaft *zwinkersmiley* #prekariat.

Ort: Balthasar, Balthasargäßchen 1

(zwischen Schranne und Kaulberg)

Beginn: 20:00

Eintritt: frei

Donnerstag, 14.11.2019: TINA SANDERS: Zur Situation der Frauen im Iran

Der Vortrag will die Situation von Frauen im Iran als Opfer der Unterdrückung sowohl durch das iranische Regime als auch durch iranische Männer erläutern. Außerdem wird die Rolle der Frau im Islam generell und im Besonderen als Täterinnen innerhalb der iranischen Moralpolizei erläutert. Am Beispiel von Aktivistinnen wie Masih Alinejad wird verdeutlicht, dass es im Iran auch widerständige Frauen gibt.

Tina Sanders lebt als Politologin und Aktivistin in Leipzig und schreibt gelegentlich u. a. für Sans Phrase, Jungle World und den Platypus Review.

Ort: Balthasar, Balthasargäßchen 1 (zwischen Schranne und Kaulberg)

Beginn: 20:00

Eintritt: frei

Donnerstag, 24.10.2019: THOMAS BOLLWEIN: ANKER-Zentren – eine neue Dimension restriktiver Asylpolitik?


Sogenannte »ANKER-Zentren« existieren seit August 2018. Sie institutionalisieren eine in Bayern erprobte Lagerpolitik, durch die seit Jahren an einer Verschärfung der Asylpolitik durch Lagerunterbringung gearbeitet wird. Der CSU gilt das Bayerische Modell als »Vorzeigemodell«, das Stück für Stück auch auf Bundesebene eingeführt werden soll. Für die Geflüchteten bedeutet es weniger Rechte. Was in den Lagern vor sich geht, ist schwer zu kontrollieren. Schikanen durch Behörden, Sicherheitsdienst und Polizei sind an der Tagesordnung. Zwar machen Geflüchtete immer wieder durch Demonstrationen und politische Aktionen auf ihre Lage aufmerksam, doch werden ihre Proteste öffentlich kaum wahrgenommen. Der Vortrag gibt einen Überblick über das Konzept »ANKER-Zentren« und skizziert Entstehung, rechtliche Rahmenbedingungen und die konkreten Probleme der Flüchtlingslager in Bayern.
 
Thomas Bollwein promoviert am Lehrstuhl für
Arbeitswissenschaften an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg zum Thema »Wohlfahrtsstaat und rechtsextreme
Einstellungen« und arbeitet seit 2017 für den Bayerischen Flüchtlingsrat. Zuletzt hat er in der Freien Uni über das Thema »Abstiegsangst – Kann der Wohlfahrtsstaat die Rechten aufhalten?« gesprochen.
Der Vortrag findet in Kooperation mit Freund statt fremd, Bamberg statt.
   
Ort: Balthasar, Balthasargäßchen 1
(zwischen Schranne und Kaulberg)
Beginn: 20:00
Eintritt: frei

Donnerstag, 25.07.2019: STEPHAN ALBRECHT: Die Architektur der schöpferischen Zerstörung

Walter Benjamin war einer der ersten, der über das Verhältnis von Geld und Religion geschrieben hat. Neuere soziologische Studien haben herausgearbeitet, wie stark Geldinstitute vom schöpferischen Potential ihrer Mitarbeiter_innen abhängen. »Schöpferische Zerstörung« nannte dies der Nationalökonom Alois Schumpeter zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Der Vortrag wird zeigen, wie dieses Paradoxon die Selbstdarstellung von Banken um die Jahrtausendwende geprägt hat.
 
Stephan Albrecht ist seit 2009 Lehrstuhlinhaber für mittelalterliche Kunstgeschichte an der Otto-Friedrich-Universität in Bamberg.
Ort: Balthasar, Balthasargäßchen 1
(zwischen Schranne und Kaulberg)
Beginn: 20:00
Eintritt: frei

Donnerstag, 18.07.2019: TOM DAVID UHLIG & ANDREAS FISCHER: Verpönte Erfahrung. Videospiele als Realitätszugang

Die Kids vergraben sich zuhause vor Konsolen und Rechnern, zocken Nächte durch und vermeiden so, sich dem »wahren Leben« da draußen zu stellen, das sie überfordert und einschüchtert – so oder so ähnlich geht ein gängiger Alltagsdiskurs über den Konsum von Videospielen. Gaming wird dabei aus der Realität ausgeklammert oder zum Methadonprogramm für Wirklichkeitsflüchtige, bei dem diese sich größer fühlen dürfen, als sie es in Wahrheit sind. Dabei sind Videospiele selbstverständlich Bestandteil der Wirklichkeit: Der Drache in World of Warcraft ist als Niederschlag menschlicher Praxis ebenso echt wie das nächstgelegene Fußballfeld. Erfahrungen, die mit Videospielen gemacht bzw. in ihnen gesammelt werden, sind gesellschaftlich verpönt, außer das Feuilleton bescheinigt ihnen, Kunst zu sein. Was aber macht trotz ihrer weitverbreiteten sozialen Geringschätzung Videospiele so attraktiv? Welche Erfahrungen lassen sich mit ihnen machen? Warum spielen Leute in ihrer Freizeit Arbeitssimulatoren, warum Spiele, die viel zu schwer sind? Warum sind die Spiele von früher am besten? Und warum stimmt das überhaupt nicht? Andreas Fischer und Tom Uhlig nehmen den Abend zum Anlass, um zwischen Plauderei, Begeisterungsanfällen und Niedergeschlagenheit, Let’s Play und Kunstkritik mit anderen Mitteln über diese Fragen zu schwadronieren.
 
Andreas Fischer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Soziologie der FAU Erlangen-Nürnberg und forscht zum Verhältnis Jugendlicher zur Erwerbsarbeit sowie zu aktueller Popkultur. Tom David Uhlig hat u. a. Psychologie in Frankfurt studiert. Er ist Mitarbeiter der Bildungsstätte »Anne Frank« und Mitherausgeber der Zeitschrift für psychoanalytische Sozialpsychologie Freie Assoziation.
Ort: Balthasar, Balthasargäßchen 1
(zwischen Schranne und Kaulberg)
Beginn: 20:00
Eintritt: frei

Donnerstag, 11.07.2019: ANDREAS KALLERT: »Theorie der Widersprüche selbst«. Mit Gramsci das Scheitern der Linken verstehen?

Die wesentliche Erkenntnis im Staatsverständnis des italienischen Kommunisten Antonio Gramsci liegt darin, den Staat nicht auf die Apparate selbst zu beschränken, sondern die so genannte »Zivilgesellschaft« ebenso als Teil des Staates zu begreifen. Der »integrale Staat« verbindet Gewalt und Konsens, Repression und Moral. Insbesondere Hegemonie als konsensbasierte Form von Herrschaftsausübung im Kapitalismus spielt hierbei eine wichtige Rolle. Die Diskurse in der Zivilgesellschaft sind daher Teil staatlicher Herrschaft, die durch die stets präsente Gewalt abgesichert ist: »Hegemonie, gepanzert mit Zwang«. Gramscis Ideen sind vor dem Hintergrund des Scheiterns der europäischen Linken zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstanden. Auch die Gegenwart bietet leider zahllose Beispiele des Scheiterns, Versagens und der strukturellen Folgenlosigkeit linker Interventionen: der Nazi-Terror des NSU, das Sterben in deutschen Polizeizellen, die organisierten Verbrechen der Autowirtschaft oder die Folgen des Klimawandels. Nach einer Einführung in Gramscis Staatsverständnis soll diskutiert werden, inwiefern wir mit seiner »Theorie der Widersprüche selbst« die konsequente Fortführung des immergleichen Elends besser verstehen und kritisieren können.
 
Andreas Kallert ist Politikwissenschaftler, arbeitet an der Universität Marburg zu Bankenrettungen in Europa und verdingt sich nebenbei als kritischer Beobachter des NSU-Komplexes und anderer Katastrophen. Zuletzt hat er in der freien uni bamberg über den national-autoritären Wettbewerbsstaat gesprochen.
Ort: Balthasar, Balthasargäßchen 1
(zwischen Schranne und Kaulberg)
Beginn: 20:00
Eintritt: frei

Donnerstag, 27.06.2019: FELIX BOHR: Kriegsverbrecherhilfe – Wie die Bundesregierungen NS-Täter_innen unterstützten

Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg waren in zahlreichen westeuropäischen Ländern NS-Kriegsverbrecher_innen inhaftiert. Im Zuge der Westbindung der Bundesrepublik wurden die meisten von ihnen entlassen. Lediglich in Italien und den Niederlanden verblieben insgesamt fünf Deutsche im Gefängnis: der SS-Mann Herbert Kappler, als Kommandeur der Sicherheitspolizei verantwortlich für das Massaker in den Ardeatinischen Höhlen, sowie die »Vier von Breda«, die maßgeblich an der Ermordung der niederländischen Juden und Jüdinnen beteiligt gewesen waren. Hochrangige deutsche Politiker_innen, unter ihnen die Bundeskanzler Brandt und Schmidt, setzten sich für ihre Freilassung ein. In der Bundesrepublik formierte sich eine einflussreiche Interessenvertretung für die im Ausland inhaftierten NS-Täter_innen, die intensive Hilfe leistete.
 
Felix Bohr ist Historiker und Journalist. Er hat Geschichte und Katholische Theologie in Berlin und Rom studiert und wurde in Göttingen über die bundesdeutsche »Kriegsverbrecherlobby« promoviert. Er arbeitet als Redakteur im Deutschlandressort des Spiegel.
Ort: Balthasar, Balthasargäßchen 1
(zwischen Schranne und Kaulberg)
Beginn: 20:00
Eintritt: frei

Donnerstag, 13.06.2019: VERONIKA KRACHER: Incels – Geschichte, Sprache und Ideologie eines misogynen Online-Kults

»Incel« ist eine Kurzform für »Involuntary Celibates« – also für unfreiwillig im Zölibat Lebende. Die »Incel«-Ideologie behauptet, Männer hätten ein angeborenes Recht auf Sex. Frauen, die sich ihnen verweigern, müssen daher verurteilt und bestraft werden. Der Frust über den vorenthaltenen Sex findet im Internet ein Ventil, wo sich Gleichgesinnte über die als »Femoids« dehumanisierte Frauen austauschen und das eigene Image als Opfer von Feminismus und Gesellschaft pflegen. Sowohl Selbst- als auch Frauenhass bestimmen das Dasein der Incels. Die permanente vermeintliche Kränkung wird untragbar; Wiedergutmachung kann sie nur im misogynen Terror erlangen. Der Vortrag liefert einen sozialpsychologischen und feministischen Einblick in die wohl toxischste Subkultur, die Patriarchat und Internet bisher hervorgebracht haben.
Content Warning: Der Vortrag thematisiert sexuelle Gewalt gegen Kinder und Erwachsene.
 
Veronika Kracher studiert(e) Soziologie und Literatur und arbeitet als freie Journalistin. Neben materialistisch-feministischer Gesellschafts- und Kulturtheorie arbeitet sie momentan vor allem zur Alt Right-Bewegung und der neuen Rechten.
Ort: Balthasar, Balthasargäßchen 1
(zwischen Schranne und Kaulberg)
Beginn: 20:00
Eintritt: frei

Donnerstag, 06.06.2019 : LOTHAR GALOW-BERGEMANN: Digitalisierung. Die Chance für ein besseres Leben ergreifen!

Die Stichworte »Industrie 4.0« und »Digitalisierung der Arbeit« stehen für eine Dynamik der Produktivkraftentwicklung, die unsere Gesellschaft in den kommenden beiden Jahrzehnten von Grund auf verändern wird. Wir werden mit weniger Arbeit immer größere Mengen stofflichen Reichtums schaffen. Da dabei noch mehr Menschen systemlogisch »überflüssig« werden, drohen allerdings enorme soziale Verwerfungen, obwohl sich doch eigentlich ungeahnte Chancen bieten. Die öffentliche Debatte, die über all das geführt wird, wird allerdings weder der Dimension des Problems noch den neuen Möglichkeiten gerecht. Die Welt verändert sich rasend schnell, alte Rezepte taugen nichts mehr. Das Modell »Lebensunterhalt durch Erwerbsarbeit« gerät weltweit in die Krise. Auch in Europa. Neue Wege sind angesagt. Massive Arbeitszeitverkürzung könnte die Antwort auf eine alte Frage ermöglichen: Was heißt Teilhabe am gesellschaftlichen Reichtum? Allerdings nur, wenn wir aus dem Gedankengefängnis der herrschenden abstrakten Reichtumsproduktion, sprich: des Kapitalismus, ausbrechen.
 
Lothar Galow-Bergemann, ehemaliger Personalrat in zwei Großkliniken, schreibt u. a. für konkret, Jungle World und www.emafrie.de.
Ort: Balthasar, Balthasargäßchen 1
(zwischen Schranne und Kaulberg)
Beginn: 20:00
Eintritt: frei

Donnerstag, 30.05.2019: THOMAS BOLLWEIN: Abstiegsangst – Kann der Wohlfahrtsstaat die Rechten aufhalten?

Rechtsextreme Einstellungen sind in allen Bevölkerungsschichten anzutreffen. In Zeiten, die als wirtschaftlich unsicher wahrgenommen werden, steigt insbesondere in der Mitte der Gesellschaft die Anfälligkeit für rechte Deutungsmuster. Diese Entwicklung lässt sich mit der »Deprivations- und Desintegrationsthese« erklären. Der Deprivationsansatz geht davon aus, dass soziale Ausgrenzung und mangelnde Integrationsfähigkeit Ursachen für rechtsextreme Einstellungen sind. Welche Rolle Existenzangst, politische Ohnmachtserfahrungen und instabile soziale Beziehungen beim aktuellen Rechtsruck spielen, soll mit Hilfe europaweit erhobener Daten erklärt werden.
 
Thomas Bollwein promoviert am Lehrstuhl für Arbeitswissenschaften an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg zum Vortragsthema und arbeitet für den Bayerischen Flüchtlingsrat.
Ort: Balthasar, Balthasargäßchen 1
(zwischen Schranne und Kaulberg)
Beginn: 20:00
Eintritt: frei

Donnerstag, 16.05.2019: VERONIKA BOHRN MENA: Die neue Arbeiter_innenklasse – Menschen in prekären Verhältnissen






Scheinselbstständigkeit, Leiharbeit, Befristungen und unbezahlte Pseudo-Praktika: Atypische Beschäftigung hat sich in ganz Europa zum Problem entwickelt. Gute Bildung und Fleiß sind längst keine Garantien mehr für ausreichendes Einkommen. Das Damoklesschwert der drohenden Arbeitslosigkeit setzt Beschäftigte mehr und mehr unter Konkurrenzdruck. Der unbefristete Vollzeitarbeitsplatz ist begehrter denn je, während gleichzeitig immer weniger Beschäftigte davon profitieren. Das durch die Arbeiter_innenbewegung hart erkämpfte Normalarbeitsverhältnis droht zu verschwinden. Der Vortrag liefert einen umfassenden Überblick über die Entwicklung von prekärer Beschäftigung in Europa seit den frühen 1980ern und zeigt auf, dass für Arbeitende kein Weg daran vorbeiführt, sich selbst als Kollektiv zu begreifen, weil solidarisches Handeln die einzige Möglichkeit darstellt, eigene Interessen durchzusetzen.
 
Veronika Bohrn Mena ist Gewerkschafterin mit Schwerpunkt atypische Beschäftigung und Autorin des Buches Die neue ArbeiterInnenklasse – Menschen in prekären Verhältnissen.
Ort: Balthasar, Balthasargäßchen 1
(zwischen Schranne und Kaulberg)
Beginn: 20:00
Eintritt: frei

Donnerstag, 09.05.2019: CLARA AGUSTÍ SANAHUJA: Linksnationalismus in Katalonien Solidarität zwischen Bürger_Innen oder Arbeiter_Innen?

Schon vor dem Ersten Weltkrieg galt Nationalismus in der Linken als Gegenspieler der gesellschaftlichen Veränderung. Gut 150 Jahre später scheint das Thema noch kontroverser geworden zu sein. Nationalstaaten sind etabliert und jede_r identifiziert sich – fast automatisch – mit dem eigenen Land. In der Geschichte Spaniens wiederum lassen sich zwei Konfliktlinien feststellen, die Gesellschaft und Politik seit Jahrhunderten prägen: die Links-Rechts-Achse und die Frage nach »Zentralisierung« oder »Dezentralisierung«. Während die Franco-Diktatur regionale Identitäten leugnete und verbot, wurden in Katalonien kulturelle Forderungen zum Mittel des antifaschistischen Widerstands. In der Demokratie schlugen sich diese Konflikte dann im Parteiensystem nieder. In der katalanischen Linken findet sich daher ein breites Spektrum von Gruppen, Organisationen und Parteien, die für einen unabhängigen katalanischen Nationalstaat eintreten. Aber haben sich die ehemaligen Widersprüche aufgelöst? Und wie rechtfertigen diese Gruppen eine Ideologie, die per se ausgrenzend ist? Der Vortrag unternimmt eine Reise in die Argumente linksnationalistischer Bewegungen in Katalonien, um auf die grundlegende Frage einzugehen: Lässt sich Nationalismus mit der politischen Linken vereinbaren?
 
Clara Agustí Sanahuja ist in Barcelona aufgewachsen und studiert zurzeit Politikwissenschaft in Bamberg. Sie sieht sich als Beobachterin der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung, empfindet aber eine gewisse Sympathie für diese Form des Protestes.
Ort: Balthasar, Balthasargäßchen 1
(zwischen Schranne und Kaulberg)
Beginn: 20:00
Eintritt: frei

Donnerstag, 02.05.2019: HANNAH O‘NEILL: Feministische Perspektiven auf den Brexit

Was hat der Brexit mit Feminismus zu tun? Die britische Diskussion um den EU-Austritt ist kaum zu überschauen. Die politischen und gesellschaftlichen Prozesse, die in ihr wirken, sollen im Vortrag aus einer kritischen Perspektive betrachtet werden. Die Geschehnisse seit dem Referendum und ihr gesellschaftlicher Zusammenhang lassen sich auch mithilfe feministischer Theorien erklären und ihre wiederkehrenden Muster können sichtbar gemacht werden. Die Positionen feministischer Bewegungen in Großbritannien und Nordirland werden dabei in den Kontext bestehender Kämpfe gestellt. Konkret wird der Frage nachgegangen, wie sich der EU-Austritt auf die Lebenssituation von Frauen* auswirken würde und mit welchen Begründungen für eine zweite Abstimmung mobilisiert wird.

Hannah O‘Neill studiert in Bamberg Politikwissenschaft im Bachelor, beschäftigt sich gern mit Feminismus und engagiert sich im Frauen*kampftagsbündnis Bamberg.
Ort: Balthasar, Balthasargäßchen 1
(zwischen Schranne und Kaulberg)
Beginn: 20:00
Eintritt: frei

Donnerstag, 24.01.2019: MIRIAM SCHAPTKE: Sibylle – Zeitschrift für Mode und Kultur. Eine Alternative für die Frauen in der DDR

Sibylle – Zeitschrift für Mode und Kultur wurde vor allem von gebildeten Frauen mittleren Alters gelesen. Sie erschien in geringer Auflage und galt in der Zeitschriftenlandschaft der DDR als Alternativmedium. Wie wurde sie durch die Partei kontrolliert und gelenkt? Und wie lässt sie sich politisch verstehen? Schwerpunkt des Vortrags werden die in der Sybille seit 1966 und bis 1989 erschienenen Frauenporträts in ihrer Beziehung zum »offiziellen« Frauenleitbild der Partei sein.

Miriam Schaptke hat in Bamberg Geschichte und Politik im Bachelor studiert. Ihr weiterer Werdegang ist derzeit noch ungewiss.

Donnerstag, 13.12.2018: ANNA SEIDEL: Popfeminismus und Kritik – Beyoncés Herstory, Marketplace Feminism und warum es kompliziert bleibt

PeterLicht sang 2008 »Es gibt keinen wahren Po im Falschen«, womit er das Dilemma des Pop-Fans auf den Punkt brachte. Mit dem Begehren am und im Pop, der ja Teil der kapitalistischen Verwertung ist, verhält es sich schwierig. Und selbst da, wo Pop und Feminismus zusammengehen, ergeben sich Ambivalenzen. Pop, der einmal für Dissidenz und Revolte stand, ist heute Teil einer patriarchalen Hegemonie geworden, deren Verwertungslogik er folgt. Der kritische Blick aus seinem Inneren heraus ist daher problematisch. Und doch sollte das emanzipatorische Potenzial der Popkultur auch weiterhin nicht unterschätzt werden: Wenn Beyoncé, die ihre Songs selbst schreibt und produziert, als woman of colour selbstbestimmt von Sex, Gleichberechtigung und Mutterschaft singt und in selbstproduzierten Handy-Videos mit dem Mythos der Pop-Marionette aufräumt, lässt sich sagen: Hier schwingt genau die Richtige ihren Po im Pop.

Anna Seidel ist Literaturwissenschaftlerin in Münster. Sie forscht und lehrt zu Popkultur und Feminismen, schreibt als freie Autorin u. a. für das Missy Magazine, die an.schläge und die Jungle World und ist Mitherausgeberin der testcard.

Donnerstag, 29.11.2018: ROBERT SOMMER: »Sex-Zwangsarbeit« – Bordelle in NS-Konzentrationslagern

1941 befahl Heinrich Himmler, Reichsführer-SS und Oberbefehlshaber über die NS-Konzentrationslager, die Errichtung von Bordellen für KZ-Häftlinge. Die Konzentrationslager waren nicht nur Orte des Terrors und des Massenmordes, sondern ebenso Stätten der Zwangsarbeit. Die SS hatte ein gewaltiges Wirtschaftsimperium aufgebaut. Zwangsarbeit war das Rückgrat dieser Wirtschaft. Allerdings fiel die Produktivität angesichts der katastrophalen Lebensbedingungen und der permanenten Gewalt gering aus. Himmler wollte daher Anreize für die Häftlinge schaffen und ließ Lagerbordelle errichten. Bis zum Ende des Krieges eröffnete die SS in insgesamt zehn KZs Bordelle: in Mauthausen, Gusen, Flossenbürg, Auschwitz-Stammlager, Buchenwald, Auschwitz-Monowitz, Dachau, Neuengamme, Sachsenhausen und Mittelbau-Dora.

Dr. Robert Sommer hat 10 Jahre lang das Thema »Sex-Zwangsarbeit« umfangreich untersucht, in allen relevanten Archiven recherchiert sowie Interviews mit Überlebenden führen können. Er ist freier Mitarbeiter der KZ-Gedenkstätten Ravensbrück und Sachsenhausen. Derzeit arbeitet er als Ausstellungsmacher und freier Autor.

Donnerstag, 22.11.2018: JENS OHLIG: Dateneigentum, Urheberrecht und Wissensallmende: Meine Daten gehören mir?

Politik braucht Metaphern. Dass Daten »das neue Öl« sein sollen, hat in der Digitalpolitik die »Datenautobahn« der 1990er abgelöst. Daten sind wertvoller Rohstoff, der in einen Verwertungszusammenhang gebracht werden muss. Selbstfahrende Autos, smarte Heizungen oder Plattformen für soziale Medien – alle sammeln Daten, die sich irgendwie verwerten lassen müssen und die doch auch irgendwem gehören sollen. Aber was ist mit den nicht-personenbezogenen Daten, die dem ständig wachsenden Strom an Messpunkten entstammen, mit dem die Welt gerade neu entdeckt und verstanden wird? Sie unterliegen nicht dem Datenschutz und stellen damit einen Präzedenzfall dar, an dem Urheberrecht, immaterielle Güter und der Anspruch auf freies Wissen für alle neu verhandelt werden können. Vielleicht lautet die Antwort auf die Frage, wem Daten gehören: Uns allen. Und vielleicht sind sie ja gar kein Öl, sondern »das neue Grundwasser«, das alle gemeinsam nutzen.

Jens Ohlig lebt im Internet und Berlin. Beruflich (bei Wikimedia Deutschland) und privat beschäftigt er sich mit Daten und Freiem Wissen. Er hofft darauf, dass am Ende doch noch alles gut wird.

 

 

Donnerstag, 15.11.2018: Eike Sanders: Die „Lebensschutz“-Bewegung.

Die »Lebensschutz«-Bewegung ist endlich wieder im öffentlichen Problembewusstsein angekommen: Die Verurteilung einer Ärztin wegen Verstoß gegen den §219a (»Werbeverbot«) und die offizielle Feststellung, dass die Zahl der Ärzt*innen, die Abtreibungen anbieten, um 40% gesunken ist, zeigen wie faul der gesellschaftliche Kompromiss um das Abtreibungsgesetz schon immer war. Die »Lebensschutz«-Bewegung möchte allerdings nicht nur die Zugänge zu Schwangerschaftsabbrüchen erschweren. Sie führt auch einen Kulturkampf zur Retraditionalisierung der Geschlechter- und Familienverhältnisse, um christliche Moral und das ärztliche Gewissen. Damit ist sie Teil eines konservativen bis extrem rechten, in Teilen antidemokratischen Aufschwungs. In Kulturkampf und Gewissen. Medizinethische Strategien der ›Lebensschutz‹-Bewegung (Verbrecher Verlag 2018) analysieren Eike Sanders, Kirsten Achtelik und Ulli Jentsch die »Lebensschutz«-Bewegung, ihre Stärken, ihre Schwächen und ihre internen Widersprüche und sie liefern das Material für eine kritische Auseinandersetzung mit den »Lebensschützern« – als Grundlage für den nötigen Widerstand.

Eike Sanders arbeitet am Antifaschistischen Pressearchiv und Bildungszentrum Berlin apabiz e.V zum Thema extreme Rechte und Gender mit den Schwerpunkten »Lebensschutz«-Bewegung, Antifeminismus und Rechtsterrorismus. Sie ist außerdem Mitglied im Forschungsnetzwerk Frauen und Rechtsextremismus. Zuletzt hat sie in der freien uni zur Rolle von Frauen im NSU-Netzwerk gesprochen.

Donnerstag, 08.11.2018: NOEMI GÖLTENBOTH: Regretting Motherhood und Postmaternal Thinking – Lässt sich Elternschaft feministisch denken?

Angesichts der zunehmenden Vereinnahmung von »Familienthemen« durch konservative Gruppen scheint eine feministische Auseinandersetzung mit Elternschaft aktueller denn je. Regretting Motherhood erlebt seit ein paar Jahren einen Boom in den sozialen Netzwerken und Sozialwissenschaften. Der Begriff geht zurück auf die Soziologin Orna Donath, die Frauen befragt hat, die es bereuen, Mutter geworden zu sein. Was viele schockiert: Sie bereuen ihr Muttersein nicht primär aufgrund äußerer Umstände und sozio-ökonomischer Schwierigkeiten, sondern an und für sich. Die australische Soziologin Julie Stephens wiederum beschreibt unter dem Schlagwort »Postmaternal Thinking« die kulturelle Angst, sich öffentlich mit Mutterschaft auseinanderzusetzen. Sie ist symptomatisch für das neoliberale Denken. Elternschaft erfordert von denen, die sie ausüben, viel Zeit und Energie für Arbeit, die gesellschaftlich nur wenig Anerkennung findet, da sie keinen unmittelbaren wirtschaftlichen Nutzen abwirft. Beide Ansätze greifen wichtige Aspekte von Elternschaft bzw. Muttersein auf und werden im Vortrag diskutiert.

Noemi Göltenboth studiert in Bamberg Psychologie, interessiert sich für feministische Theorie und ist im Gleichstellungsreferat tätig.

Donnerstag, 01.11.2018: Vernissage und Vortrag von Rudi Maier

Anlässlich der Vernissage wird Rudi Maier vor seinem Vortrag die Ausstellung eröffnen und einleiten. Es gibt Sekt.

Marx. Macht. Reklame.
Seit langem hat die Werbeindustrie die Zeichen und Symbole, die Ikonen und Parolen linker und alternativer Bewegungen für ihre Zwecke entdeckt: Che Guevara, Karl Marx und Rosa Luxemburg, erhobene Fäuste, rote Sterne, auffahrende Wasserwerfer – nichts aus dem Bedeutungs-Repertoire des Protests und der Gegenkultur, das nicht in Anzeigen oder Spots Verwendung fände. Der Kulturwissenschaftler Rudi Maier sammelt seit zwei Jahrzehnten derlei Artefakte. Fast 4.000 von 1967 bis heute befinden sich inzwischen in seinem Archiv. Anlässlich des 200. Geburtstags von Karl Marx in diesem Jahr hat er für die freie uni eine Auswahl zusammengestellt, um – frei nach Marx – den »Verhältnissen ihre eigene Melodie vorzusingen, um sie zum Tanzen zu bringen«.

Ab ca. 20:15 Uhr
Vortrag:
Samba si! Arbeit no! –
Arbeit als Thema im deutschen Schlager
Nicht erst seit Helene Fischer zeigt sich: Schlager sind Pop – und sie polarisieren, in Fans auf der einen, in Schlagerhasser_innen auf der anderen Seite. Zeit, das schwer zu definierende Genre einmal genauer auszuleuchten und klassentheoretisch einzuordnen. Was eignet sich dafür besser, als Schlager auf ihre Bezüge zur Arbeitswelt hin zu befragen? Der Vortrag stellt zahlreiche Beispiele vor und zur Diskussion und liefert damit einen Beitrag zur Diskussion um Klassismus im Pop.

Rudi Maier ist Kulturwissenschaftler und interessiert sich seit langem für unterschiedliche Spielarten der Popkultur in Musik, Werbung oder Arbeitswelt – stets verknüpft mit der Frage des Alltagslebens im kognitiven Kapitalismus. Zuletzt hat er in der freien uni als MC Orgelmüller Firmenhymnen vorgestellt und vorgesungen.

Donnerstag, 05.07.2018: ANJA THIELE: Juden und die Erinnerung an die Shoah in der DDR

Die Massenvernichtung der Juden im Nationalsozialismus wurde in der DDR »ausgeblendet« – das ist weit verbreiteter Konsens. Tatsächlich ist das Bild der Erinnerungskultur im »antifaschistischen« Staat, wie aktuelle geschichtswissenschaftliche Studien zeigen, um einiges komplexer. Der Vortrag möchte die historischen Grundlagen der staatlichen Geschichts- und Gedenkpolitik der DDR skizzieren, um anschließend zu fragen: Gab es abseits der dogmatischen Leitlinien der SED eine Erinnerung an die Shoah? Und welche Rolle nahmen jüdische Kommunist_innen, oft selbst KZ-Überlebende, in diesem Diskurs ein? Am Beispiel verschiedener Akteur_innen jüdischer Herkunft, die sich nachdrücklich für die Erinnerung an den Holocaust einsetzten, soll der geschichtliche Wandel im Umgang mit dem Thema in der DDR nachgezeichnet werden. Damit einhergehend beleuchtet der Vortrag die Vielfalt »jüdischer« Selbstidentifikation in der DDR sowie die Komplexität des Verhältnisses zwischen Juden und SED.

Anja Thiele ist Literaturwissenschaftlerin und promoviert über Erinnerungskultur in der DDR. Sie lebt in Leipzig.

Donnerstag, 28.06.2018: ANDREAS FISCHER / DANIEL DRAVENAU: Utopie – Populismus – Dystopie. White-Trash-Hip-Hop

Als Sprachrohr der ländlichen working- und underclass fungiert Country Rap als Affirmation der Redneck-Kultur, prophezeit den Untergang des Abendlands und die messianische Rückkehr des real outlaw. Bestimmen den urbanen White-Trash-Hip-Hop kritische Selbstermächtigung und die utopische Formulierung des kulturell Anderen, positioniert sich der Country Rap nostalgisch-populistisch gegen die moderne städtische Kultur. Der Vortrag betrachtet Entstehung, Inhalte und Ästhetik des White-Trash-Hip-Hop, insbesondere seines ländlichen Sprösslings, und möchte einer vereinfachten Lesart des Country Rap entgegentreten. Seine regressiven Elemente mögen offensichtlich sein; aber nichtsdestotrotz lassen sich in seinen Mythen, Idyllen und Attacken Wahrheitssplitter, kritische Impulse und utopische Gesten ausmachen, welche die Ohnmacht und Verlogenheit der Populismuskritik des liberalbürgerlichen Diskurses offenbaren. Über die Rekonstruktion der Wahrheitsmomente der »falschesten« Form zeitgenössischer (Populär-)Kultur, der des Populismus, wollen wir das Falsche der »wahrsten«, liberalbürgerlichen (Populär-)
Kultur aufzeigen und darüber eine ernstzunehmende Kritik beider ermöglichen.

Andreas Fischer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Soziologie der FAU Erlangen-Nürnberg und forscht zum Wandel adoleszenter Kultur und Orientierungen sowie zu aktueller Popkultur. Dr. Daniel Dravenau arbeitet u. a. zur kulturellen Reproduktion sozialer Ungleichheit und in der Jugendhilfeplanung.

Donnerstag, 21.06.2018: CLARA FORCHT: Die doppelte Revolte. Künstlerische und politische Praxis des surrealistischen Antikolonialismus

Mitte des 19. Jahrhunderts begannen europäische Künstler*innen, gegen das Korsett der herrschenden Darstellungsnormen aufzubegehren. Neue, unverbrauchte Ausdrucksformen fanden sie in der nichteuropäischen Kunst. Doch bis in die 1920er Jahre hinein war die künstlerische Auseinandersetzung mit dem »Anderen« von einem verklärenden Primitivismus bestimmt. Damit reproduzierte sie Diskurse, die den Kolonialismus rechtfertigten – denn nur wer als »primitiv« kategorisiert ist, kann im Namen einer »zivilisatorischen« Mission kolonialistisch ausgebeutet werden. Erst die Anfang der 1920er Jahre in Paris gegründete surrealistische Bewegung versuchte, diese Diskurse zu verändern. Ihre Revolte war eine doppelte: Mithilfe der Kunst suchte sie, die Unterdrückung des Unbewussten durch die Vernunft zu überwinden – und durch gezielte politische Aktionen sollte die gewalttätige Ausbeutung nichteuropäischer Menschen durch den Kolonialismus abgeschafft werden. Der Vortrag untersucht Anspruch und Wirklichkeit dieses Programms am Beispiel des bildenden Künstlers Max Ernst und stellt die Frage, ob sich über die Hintertür nicht doch wieder kolonialistische Diskurse eingeschlichen haben.

Clara Forcht ist Mitglied der freien uni bamberg und studiert derzeit Kunstgeschichte.

 

Donnerstag, 14.06.2018: ULRICH CHAUSSY: Das Oktoberfest-Attentat. Wie die Verdrängung des Rechtsterrors begann

In der Endphase eines hitzigen Bundestagwahlkampfes detonierte am 26. September 1980 auf dem Oktoberfest am Eingang zur Theresienwiese eine Bombe. 13 Menschen starben, 211 Menschen wurden verletzt, mehr als 60 davon schwer. Schnell war klar, dass sich unter den Toten auch der Bombenleger befand: Gundolf Köhler, 21, ein aktiver Sympathisant der rechtsextremistischen Wehrsportgruppe Hoffmann. Als der Generalbundesanwalt die Ermittlungen im November 1982 einstellte, war aus dem bis dahin schwersten Terroranschlag in der Geschichte der BRD die Einzeltat eines jungen Mannes geworden, der aus unpolitischen, rein privaten Motiven eine Art erweiterten Selbstmordes beging. Im Vortrag wird gezeigt, wie und warum die Ermittlungen systematisch und beabsichtigt zu diesem – wie wir heute wissen – unhaltbaren Ergebnis führten: Die Mechanismen der Verdrängung und das Nicht-Wahr-Haben-Wollen der rechtsterroristischen Gefahr, die uns seit 2011 in der Aufarbeitung des NSU begegnen, waren bereits 1980 wirksam.

Ulrich Chaussy ist Buch- und Filmautor und war jahrzehntelang als Rundfunkjournalist für ARD und BR tätig. Seine Veröffentlichungen zum Oktoberfestattentat, insbesondere der Film „Der blinde Fleck“ haben zur Wiederaufnahme der Ermittlungen im Dezember 2014 beigetragen. Zuletzt ist sein Buch Rudi Dutschke. Die Biographie im Droemer-Verlag erschienen.

Donnerstag, 07.06.2018: TILMAN MÜLLER: »Für Führer und Prophet«. Islam und Nationalsozialismus

Die gemeinsame Geschichte von Nazis und Muslimen stellt trotz zahlreicher Belege einen blinden Fleck für den Aufarbeitungsweltmeister Deutschland dar. Deutlich wird dies, wenn der im Nahen Osten grassierende Antisemitismus als Resultat des israelisch-palästinensischen Konfliktes dargestellt wird und Vertreter_innen judenhassender Regimes diplomatisch und wirtschaftlich hofiert werden. Im Fokus steht der geschichtliche Moment, der als Geburtsstunde des programmatischen muslimischen Antisemitismus unter deutscher Ammenhilfe gelten kann. Ziel ist kein ideologischer Vergleich, sondern eine historische Darstellung, die zu Erklärungszwecken gelegentlich auf ideologische Aspekte zurückgreift.

Tilman Müller lebt seit 2016 in Bamberg, ist schon viel zu lang Bachelorstudent und hat sein Hauptfach Politikwissenschaft hauptsächlich deshalb gewählt, weil er sich das Interesse an Philosophie und Soziologie nicht durch akademische Verwurstung kaputtmachen lassen wollte.

Donnerstag, 17.05.2018: EIKE SANDERS: Kulturkampf und Gewissen. Die »Lebensschutz«-Bewegung

Die »Lebensschutz«-Bewegung will in die Offensive: Sie möchte nicht nur die Zugänge zu Schwangerschaftsabbrüchen erschweren, sondern führt auch einen Kulturkampf zur Retraditionalisierung der Geschlechter- und Familienverhältnisse, um christliche Moral und das ärztliche Gewissen. Sie ist Teil eines konservativen bis extrem rechten, in Teilen antidemokratischen Aufschwungs. In Kulturkampf und Gewissen. Medizinethische Strategien der »Lebensschutz«-Bewegung (Verbrecher Verlag 2018) analysieren Eike Sanders, Kirsten Achtelik und Ulli Jentsch die »Lebensschutz«-Bewegung, ihre Stärken, Schwächen und internen Widersprüche. Damit liefern sie das Material für eine kritische Auseinandersetzung mit den »Lebensschützern« – und die Grundlage für den nötigen Widerstand.

Eike Sanders ist Mitarbeiterin des Antifaschistischen Pressearchiv und Bildungszentrum Berlin apabiz e.V., wo sie seit zehn Jahren zentral zu dem Thema extreme Rechte und Gender forscht, publiziert und Bildungsarbeit durchführt. Ihre Schwerpunkte sind die »Lebensschutz«-Bewegung, Antifeminismus sowie Rechtsterrorismus. Sie ist Mitglied im Forschungsnetzwerk Frauen und Rechtsextremismus. Zuletzt hat sie in der freien uni bamberg zur Rolle von Frauen im NSU-Netzwerk gesprochen.

Donnerstag, 10.05.2018. BETTINA WILPERT: »nichts, was uns passiert«. Romanlesung

Leipzig. Sommer. Universität, Fußball-WM und Volksküche. Gute Freunde. Eine Geburtstagsfeier. Anna sagt, sie wurde vergewaltigt. Jonas sagt, es war einvernehmlicher Geschlechtsverkehr. Aussage steht gegen Aussage. Nach zwei Monaten nah an der Verzweiflung zeigt Anna Jonas schließlich an, doch im Freundeskreis hängt bald das Wort »Falschbeschuldigung« in der Luft. Jonas’ und Annas Glaubwürdigkeit und ihre Freundschaften werden aufs Spiel gesetzt. Der Roman nichts, was uns passiert thematisiert, welchen Einfluss eine Vergewaltigung auf Opfer, Täter sowie das Umfeld hat und wie eine Gesellschaft mit sexueller Gewalt umgeht.

Bettina Wilpert lebt und arbeitet in Leipzig und schreibt über Kündigungen, Streiks oder psychische Krankheiten, u. a. für P.S. Politisch Schreiben, testcard und Outside the Box. Ihr Debütroman nichts, was uns passiert ist im Februar 2018 im Verbrecher Verlag erschienen.

In Kooperation mit »Literatur in der Universität«

Gefördert von der Neueren deutschen Literaturwissenschaft der Otto-Friedrich-Universität Bamberg

 

Donnerstag, 03.05.2018: SIMON DUDEK: »Heimat« in Zeiten der Krise

Die meisten Millenials kamen biographisch zweimal mit dem Begriff »Heimat« in Berührung. In der Kindheit waren es die Großeltern ostpreußischer, schlesischer oder sudetendeutscher Abstammung, die ihrer verlorenen Heimat hinterher trauerten. In ihrer Gegenwart wiederum bezieht sich eine diffuse Mischung aus Spiegel-Redakteur_innen, nationalistischen Mörderbanden, Identitären und Cem Özdemir ganz selbstverständlich und positiv auf sie. Im langen Marsch durch die Institutionen ist die Steinbachisierung der Gesellschaft mittlerweile auf der ministeriellen Ebene angekommen. Auf das bayerische folgt das bundesrepublikanische Heimatministerium. Spätestens an dieser Stelle stellt sich die Frage, warum ein derart schwammiger Begriff eine solche Konjunktur erlebt. Der Vortrag möchte, ausgehend von der Diagnose einer multiplen Krise (seit 2007), seinem ideologischen Gehalt auf den Grund gehen.

Simon Dudek ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachbereich Geographie einer bayerischen Universität.

Donnerstag, 26.04.2018: HENNING FISCHER: Die überlebenden Frauen von Ravensbrück

Ende April 1945 wurde das Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück bei Berlin von der Roten Armee befreit. Einige der Überlebenden, meist Kommunistinnen, die in der Weimarer Republik politisch sozialisiert worden waren, gründeten unmittelbar nach der Befreiung eine Lagergemeinschaft als sozialen und politischen Verband. Gegen viele Schwierigkeiten führten sie ihn in DDR sowie BRD und bis in die 2000er Jahre hinein fort. Sie verfolgten eigenständige politische Ziele und wurden damit zu Akteurinnen ihres eigenen Lebens und der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts. Diese Geschichte wird anhand eines Bilder-Vortrags vorgestellt werden.

Henning Fischer lebt in Berlin, hat dort u. a. Geschichtswissenschaften studiert und 2017 zum Thema »Überlebende als Akteurinnen« promoviert. Er ist außerdem Teil des AutorInnenkollektivs Loukanikos, das sich mit der Kritik der Geschichtspolitik beschäftigt.

Donnerstag, 19.04.2018: MATTHIAS ZWACK: Titoismus. Theorie und Praxis des Selbstverwaltungssozialismus in Jugoslawien

Das ehemalige Jugoslawien wird heute vor allem mit gutem Essen und schönen Stränden in Verbindung gebracht. Fast ein halbes Jahrhundert lang stand das Land jedoch für einen Sozialismus der Weltoffenheit, der individuellen Freiheit und der echten sozialen, politischen sowie wirtschaftlichen Teilhabe. Der jugoslawische Weg beruhte auf einem historischen Bruch mit der Sowjetunion. Er war jedoch alles andere als widerspruchsfrei. Dem emanzipatorischen Anspruch stand die Herrschaft einer Einheitspartei gegenüber. Der Vortrag möchte dieses Kapitel der realsozialistischen Geschichte beleuchten. Im Zentrum steht dabei das Verhältnis autoritärer und antiautoritärer Tendenzen, die nebeneinander bestanden und sich gegenseitig ergänzten. War der Autoritarismus Relikt des Stalinismus oder brachte das Selbstverwaltungssystem seinen eigenen, spezifischen Autoritarismus hervor? Und welchen Anteil hatte all das am jugoslawischen Zerfall und den sich anschließenden Bürgerkriegen? Die Fragen, die das jugoslawische Modell aufwirft, sind für die emanzipatorische Theorie und Praxis der Gegenwart noch immer relevant.

Matthias Zwack ist Historiker, lebt in München und wühlt im Trümmerhaufen der Vergangenheit auf der Suche nach einer besseren Zukunft.

Freitag, 19.01.2018: STEFFI NEUMANN: Feminismus von Rechts? Oder: Sexismuskritischer Nationalismus

Die Vorstellung von rechtsextremen Frauen war lange vom alten Bild der stolzen deutschen Mutter geprägt, die sich der Reproduktion widmet und ihrem Mann »den Rücken frei hält«. Doch inzwischen erscheinen immer mehr politisch aktive Frauen an der Spitze rechter Parteien, Vereine und Kameradschaften: Frauen, die ihre Stimmen über die der Männer erheben und in den patriarchalen Strukturen der Szene oftmals geachtet werden; die für sich das gleiche Recht auf politische Äußerungen und Gewaltausübung in Anspruch nehmen und sich innerhalb der Szene gemeinsam organisieren. So verkündete beispielsweise der Mädelring Thüringen, eine Frauengruppe innerhalb der Neonazi-Kameradschaftszene: »Deutsche Frauen wehret euch – gegen das Patriarchat und politische Unmündigkeit! Nationaler Feminismus voran!« Doch inwiefern ist eine recht(sextrem)e Ideologie mit emanzipatorischem Feminismus vereinbar?

Steffi Neumann hat viele Semester ergebnislos studiert und befindet sich inzwischen in einer sozialpädagogischen Ausbildung. Sofern sie sich nicht im Zuge ihrer Lohnarbeit mit Kindern beschäftigt, arbeitet sie in antifaschistischen und emanzipatorischen Zusammenhängen und ist Teil der Freien Uni Bamberg.

Freitag, 12.02.2018: HENDRIKE HELLMANN: Versöhnung mit der Wirklichkeit? Über Hannah Arendts Versuch, den Totalitarismus zu verstehen.

Hannah Arendt hat einmal bemerkt, sie sei keine geborene Schriftstellerin, sondern durch Zufall dazu geworden. Der Zufall bzw. Unfall, der sie zum Schreiben brachte und zeitlebens beschäftigt hat, wären jene »extraordinary events of this century« gewesen, die mit dem Aufkommen des Totalitarismus einhergingen. Offenbar konnte sie gar nicht anders, als den Versuch zu unternehmen, das Phänomen der totalitären Herrschaft zu untersuchen und zu verstehen. Ihr Begriff des »Verstehens« hat eine existenzielle Bedeutung, wovon ihr Essay Understanding and Politics Zeugnis ablegt. Dort beschreibt Arendt Verstehen als charakteristisch menschliche, unabschließbare Tätigkeit, durch die der Mensch sich mit der Wirklichkeit versöhnt. Aber geht das überhaupt zusammen: Totalitarismus und Versöhnung? – Der Vortrag möchte Arendts Konzept des Verstehens vorstellen und fragen, welchen Gewinn es im Umgang mit der totalitären Vergangenheit abwirft.

Hendrike Hellmann hat in Bamberg und Tallinn Philosophie studiert und sich im Rahmen ihrer Masterarbeit mit Hannah Arendt beschäftigt. Dass sie nach dieser langen und entbehrungsreichen Schreibphase immer noch bereit ist, sich mit der Philosophin auseinanderzusetzen, legt nahe, dass sie an einem Stockholm-Syndrom leidet.

Donnerstag, 21.12.2017: STEFAN DIETL: »Blame the System!«. Kleine Einführung in die Kapitalismuskritik

Für die einen »gibt es kein System, das die Armut schneller beseitigt« (Wirtschaftswoche), und sind sich daher sicher, dass er »alternativlos ist und bleibt« (Die Welt). Für die anderen »ist der Kapitalismus gescheitert« (attac) und die »Idee des Kapitalismus tot« (Michael Moore). Wieder andere stellen fest, dass »der Kapitalismus so quicklebendig ist wie nie« (Spiegel). Doch was ist eigentlich dieser Kapitalismus, von dem alle reden? Welche historischen und sozialen Rahmenbedingungen kennzeichnen die kapitalistische Produktionsweise, und wie kann eine emanzipatorische Kritik an den bestehenden Verhältnissen aussehen? Der Vortrag stellt einige grundlegende Vorstellungen der Marx’schen Kritik der politischen Ökonomie vor. Dabei wird er sich auch mit den regressiven Vorstellungen einiger »Kapitalismuskritiker_innen« beschäftigen und der Frage nachgehen, ob und wie eine emanzipatorische Aufhebung der kapitalistischen Verhältnisse möglich ist.

Stefan Dietl ist ehrenamtlich bei ver.di aktiv und schreibt regelmäßig zu sozial- und wirtschaftspolitischen Themen, u. a. für die jungle world. 2017 ist sein Buch Die AfD und die soziale Frage im Unrast Verlag erschienen.

Donnerstag, 14.12.2017: CHRIS W. WILPERT: Buffy als Massenbetrug? Kulturindustrie und Kulturkritikindustrie

2017 ist ein Jahr denkwürdiger Jubiläen: 20 Jahre sind seit Ausstrahlung der ersten Staffel von Buffy – The Vampire Slayer vergangen. Vor 70 Jahren ist die Dialektik der Aufklärung von Adorno und Horkheimer erstmals erschienen. Das darin enthaltene Kulturindustrie-Kapitel mit dem Untertitel »Aufklärung als Massenbetrug« gilt es kritisch zu würdigen. Über Buffy gibt es dabei nicht viel zu sagen. Sie ist unzweifelhaft die beste Serie. Aufgrund ihres gesellschaftskritischen Gehalts gab sie Anstoß zu der akademischen und popkritischen Rezeption, die als so genannte Buffy Studies firmiert. Inzwischen werden zu jeder Serie Massen an vermeintlicher Kulturkritik produziert. Diese ist meist ebenso langweilig, wie sie krampfhaft überall fundamentale Gesellschaftskritik zu erkennen meint. Die Kulturindustrie hat dabei unweigerlich eine eigene Kulturkritikindustrie mit hervorgebracht. Diese verwässert jedoch den Begriff einer emanzipatorischen Kulturkritik. Der Vortrag will nicht nerdig bloß Buffy-Fantum zur Schau stellen. Stattdessen soll er in die Geschichte und den Begriff der Kulturindustrie einführen und zugleich die Möglichkeiten und Grenzen einer emanzipatorischen Kulturkritik als radikale Gesellschaftskritik ausloten. Ein Kampf, der so aussichtslos scheint wie der von Buffy.

Chris W. Wilpert schreibt u. a. über Thomas Harlan, Battlestar Galactica und Hipster_innen und ist Teil der Freien Uni Bamberg.